Überbestimmte Gleichung, Kommentar zu EU-Spitzenposten von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots)
Der Countdown läuft. In zehn Tagen treffen sich die EU-Regierungschefs zu einem Sondergipfel, um über Europas Spitzenpersonalien "einen endgültigen Beschluss zu fassen". Das könnte schwierig werden. Denn die Sache ist vertrackt.
Mathematiker sprechen von überbestimmten Gleichungssystemen, wenn sie mehr Bestimmungsgleichungen vorfinden als Unbekannte. Wenn also so viele Nebenbedingungen zu erfüllen sind, dass die Aufgabe nicht eindeutig zu lösen ist. Dieses Dilemma droht der EU. Denn bei der Besetzung der Führungsriege - Kommissionspräsident, Ratschef, Außenbeauftragter, Eurogruppen-Vorsitzender - ist es eigentlich ein Muss, mindestens eine Frau zu berücksichtigen. Und mindestens einen Osteuropäer. Und mindestens einen Sozialdemokraten. Am besten auch jemand aus dem krisengebeutelten Süden. Und wenn möglich aus einem kleinen EU-Staat. Und jemand aus einem Land außerhalb von Euroland. Denn die Euro-Outs argwöhnen ohnehin, dass sie nur noch in der zweiten Reihe sitzen.
Als wäre das nicht kompliziert genug, erheben einzelne Länder diesmal besonders entschieden Ansprüche. Spanien erinnert daran, dass das Land zuletzt unberücksichtigt geblieben ist - und greift nach dem Eurogruppen-Vorsitz für Luis de Guindos. Italiens neue Regierung pocht darauf, dass sich das Land wieder stärker europapolitisch profiliere - und wirbt für Außenministerin Federica Mogherini als EU-Außenbeauftragte. Da der Kommissionstopjob bereits an Luxemburgs Jean-Claude Juncker vergeben ist, trüben diese Wünsche wiederum die Aussichten der Dänin Helle Thorning-Schmidt auf den Ratsvorsitz.
Pikanterweise gibt es dieses Mal wenig andere Posten, die zur Kompensation taugen - etwa EU-Kommissare mit wichtigen Ressorts. Denn die dürften schon für Deutsche, Briten, Franzosen und Niederländer reserviert sein, die sich kaum mit der Verantwortung für Fischerei abspeisen lassen. Zudem steht Juncker im Wort, denn er hat den Regierungen, die eine Frau entsenden, ein Dossier mit politischem Gewicht versprochen.
Wie immer, wenn geschachert wird, besteht daher die Gefahr, dass letztlich nicht Kandidaten gewählt werden, die besonders geeignet sind - sondern die am besten dem Suchprofil von Region oder Parteienfamilie entsprechen. Das wäre fatal. Denn gerade auf den nächsten Ratspräsidenten und die nächste Außenbeauftragte kommen Schlüsselrollen zu - im Ukraine-Konflikt, bei der Überwindung der Wirtschaftskrise im Süden und vor dem Referendum der Briten.
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