Der Schweizerische Blindenbund wehrt sich gegen weitere einschneidende Abbauvorschläge in der Invalidenversicherung
Zürich (ots)
An seiner 50. Delegiertenversammlung vom letzten Samstag, 5. Juni 2010 in Weinfelden, diskutierte der Schweizerische Blindenbund (SBb) äusserst engagiert die aktuellen Entwicklungen in der schweizerischen Sozialpolitik.
Insbesondere das dritte Paket zur Sanierung der unterfinanzierten Invalidenversicherung (IV) erfüllt den Schweizerischen Blindenbund mit grosser Sorge. Dieses dritte Sanierungspaket beinhaltet die 6. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG). Diese Revision wurde in zwei Teile aufgeteilt: als 6.A für das erste Masssnahmenpaket und 6.B mit dem zweiten Massnahmenpaket.
Aufgrund der schwierigen Situation, in der sich die IV zurzeit befindet, verschliesst sich der Schweizerische Blindenbund in keiner Weise, konstruktiv zu nachhaltigen Lösungen beizutragen. Es muss aber berücksichtigt werden, welche Gründe in der Vergangenheit zu dieser Situation geführt haben. Darum ist der Schweizerische Blindenbund der Meinung, dass die Lösungen nicht nur in zu wenig durchdachten Abbaumassnahmen ausschliesslich zu Lasten der Betroffenen liegen können. Es ist selbstverständlich, dass missbräuchliche Inanspruchnahme des für die Schweiz äusserst wichtigen Sozialwerkes verhindert wird. Aber diese Massnahmen können die IV nicht sanieren.
IVG-Revision 6.A:
Diese Botschaft ist nun dem Parlament zugeführt worden und wird voraussichtlich in der laufenden Session im Ständerat als Erstrat behandelt werden.
Bei der eingliederungsorientierten Rentenrevision sollen 12,500 gewichtete Renten, was 16,000 betroffenen Personen entspricht, in den 1. Arbeitsmarkt integriert werden. Grundsätzlich unterstützt der Schweizerische Blindenbund jede Massnahme, die eine Person mit Behinderung real und nachhaltig integrieren kann. Ohne verfügbaren Arbeitsplätze wird das Ziel der realen Integration aber misslingen.
Die Erfahrungen der 4. und 5. IVG-Revision zeigen, dass die damals von Arbeitgeberseite geäusserten Absichtserklärungen, bei der Integration von Menschen mit Behinderung aktiv beizutragen, bis heute in der Realität kaum spürbar sind. Im Vorfeld der Volksabstimmung zur 5. IVG-Revision hat das Bundesamt für Sozialversicherungen in Aussicht gestellt, in der Wirtschaft im Rahmen des Projektes Job Passerelle 3'000 neue Stellen für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. In der Realität sind bisher durch das genannte Projekt nur ca. 30 neue Arbeitsplätze entstanden. Das massive Scheitern dieses ehrgeizigen Projektes zeigt, dass die Eingliederungsziele des Bundesrates für die 6. IVG-Revision in quantitativer Hinsicht nirgends konkret abgestützt sind. Sie beruhen ausschliesslich auf finanzpolitisch geprägtem Wunschdenken.
Darum fordert der Schweizerische Blindenbund, dass griffige Instrumente für Arbeitgeberanreize ernsthaft diskutiert werden. Solange für Menschen mit Behinderung, deren Renten herabgesetzt oder aufgehoben werden, keine entsprechenden Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wird nur eine Verschiebung von der IV letztlich in die Sozialhilfe resultieren. Dies wiederum verstärkt die Tendenz, anstelle des Versicherungsprinzips der IV dem auch aus Kostengründen sehr fragwürdigen Bedarfsprinzips Vorschub zu leisten.
An sich sind die Anliegen des Assistenzbeitrages, der das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderung fördert, unbestritten. Daher ist es für den Schweizerischen Blindenbund unverständlich, dass der Bundesrat dieses Thema in die 6. IVG- Revision eingebunden hat und nicht als getrennte Vorlage dem Parlament vorlegt.
Allerdings sind die aus Kostengründen so ausgestalteten Rahmenbedingungen des Assistenzbeitrages für den Schweizerischen Blindenbund nicht akzeptabel.
Anspruch auf einen Assistenzbeitrag sollen nur Menschen mit Behinderung haben, die im Sinne von Art. 13 ZGB handlungsfähig sind. Minderjährige und Personen mit vormundschaftlichen Massnahmen sollen davon ausgeschlossen werden. Diese sachlich nicht begründbare Diskriminierung ist für den Schweizerischen Blindenbund nicht hinnehmbar.
Gleichzeitig sollen dem (der) Betroffenen nahestehenden Personen als Assistenzleistende nicht anerkannt werden. Die Erfahrungen im Pilotversuch "Assistenzbudget" zeigen aber ganz klar, dass durch (Teil)-Entschädigung von Angehörigen die nötige Assistenz am effektivsten, effizientesten und somit am kostengünstigsten erbracht werden kann.
Auch der Zwang zum Arbeitgebermodell ist für den Schweizerischen Blindenbund eine zu massive Einschränkung der angestrebten Wahlfreiheit. Damit würde ausgeschlossen, dass zum Beispiel Entlastungsdienste in Notfällen keine Assistenz mehr leisten könnten.
IVG-Revision 6.B: Der Bundesrat hat den Auftrag, das zweite Massnahmenpaket, also die 6.B, bis Ende dieses Jahres dem Parlament vorzulegen.
Der Schweizerische Blindenbund befürchtet zu Recht, dass diese Vorlage aufgrund des behindertenfeindlichen Klimas zu einer reinen ausgabenseitigen Abbauvorlage wird. Gegen die Tendenz, die Verantwortung für die Fehler der Vergangenheit alleine den Schwächsten unserer Gesellschaft zu überbinden, wird sich der Schweizerische Blindenbund vehement zur Wehr setzen.
Die Eröffnung der Vernehmlassung wird gegen Ende Juni 2010 erwartet. Anschliessend wird der Schweizerische Blindenbund detailliert zu den vorgeschlagenen Massnahmen im Interesse der Menschen mit Behinderung Stellung nehmen.
Der Schweizerische Blindenbund (SBb) ist eine Selbsthilfeorganisation für Blinde und Sehbehinderte mit rund 45 Mitarbeitern in unterschiedlichen Anstellungspensen. Er bezweckt die praktische Durchführung von Massnahmen, die eine weitgehende Verselbständigung blinder und sehbehinderter Menschen in gesellschaftlicher, kultureller, materieller und beruflicher Hinsicht ermöglichen sollen. Zur fachlichen Beratung Rat suchender Menschen mit einer Sehbehinderung betreibt der Schweizerische Blindenbund acht interdisziplinär geführte Beratungsstellen.
Kontakt:
Roland Gossweiler, Delegierter des Vorstandes
Tel.: +41/71/279'30'50
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