Afghanistan: 70 Prozent der Kinder sind von extremen Wetterereignissen bedroht
Zürich/Kabul, 17. November 2022 – Während bei der COP27 in Ägypten wiederholt zur Einhaltung der Klimaziele aufgerufen wurde, ist die Klimakrise für rund 70 Prozent der Kinder in Afghanistan bereits Realität. Weltweit sind sie mit am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.
Etwa 27,8 Millionen Menschen in Afghanistan sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Landwirtschaft verstärkt durch Klimaschocks bedroht. Im Sommer zerstörten verheerende Fluten 85'000 Hektar Ackerland und töteten 7'500 Nutztiere. Hinzu kommen Jahre extremer Dürre, die voraussichtlich bis 2023 anhalten sollen, und eine tiefe Wirtschaftskrise, die die Lebensgrundlage von Millionen Menschen zunichtegemacht haben.
„Durch den Klimawandel haben die Familien keine Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen, bevor die nächste Katastrophe eintritt“, betont Chris Nyamandi, Länderdirektor von Save the Children in Afghanistan. „Angesichts des nahenden Winters macht sich Save the Children grosse Sorgen um die Familien, die von der Dürre und den Überschwemmungen betroffen sind, und darum, wie sie die eisigen Temperaturen ohne Lebensmittelvorräte und ausreichendes Einkommen für Heizung und Winterkleidung überstehen werden.“
Immer mehr Kinder leiden an Mangelernährung. Die Zahl der unter Fünfjährigen, die damit in Save the Childrens mobilen Gesundheitskliniken eintreffen, ist im Vergleich zum Januar 2022 um fast 50 Prozent gestiegen. Die Ärzt:innen kommen der hohen Nachfrage kaum nach.
Auch der Zugang zu sauberem Wasser wird von Tag zu Tag schwieriger, was Kinder tödlichen Krankheiten wie akutem Durchfall aussetzt, wenn sie dreckiges Wasser zu sich nehmen. Eine kürzlich durchgeführte landesweite Untersuchung ergab, dass 80 Prozent der Haushalte in ländlichen Gebieten und 75 Prozent der Haushalte in den Städten nicht über genügend Wasser zum Trinken, Kochen und Baden verfügen.
„Ich kann oft nicht zur Schule gehen, weil ich sauberes Trinkwasser holen muss. Das kostet mich viel Zeit“, erzählt der zehnjährige Fahim*, der mit seinen Eltern und seinem Grossvater Sohail* in der Provinz Balkh im Norden Afghanistans lebt. „Früher gab es in der Nähe unseres Hauses Wasserquellen, aber sie sind ausgetrocknet. Die Dürre hat das Einkommen unserer Familie dezimiert. Das hat sich auch negativ auf die Gesundheit meines Bruders ausgewirkt. Er ist mangelernährt, weil wir ihn nicht richtig ernähren können.“ Sein Grossvater fügt hinzu: „Früher, als wir noch genug gutes Essen hatten, waren unsere Kinder gesund, aber jetzt sehen sie wie Skelette aus.“
Infolge der Existenzängste vieler Familien nimmt auch die Kinderarbeit zu. Verzweifelte Eltern fühlen sich gezwungen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen, damit sie auf der Strasse, in Fabriken oder Minen arbeiten und die Familie finanziell unterstützen können.
„Es besteht kein Zweifel, dass der Klimawandel die Krise in Afghanistan noch extremer macht“, sagt Chris Nyamandi. „Die Staats- und Regierungschefs beim COP27-Gipfel müssen sich verpflichten, das tägliche Leben der Kinder in Afghanistan, die bereits jetzt unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden, spürbar zu verbessern. Sie brauchen nicht nur sofortige humanitäre Hilfe, um den Winter zu überleben, sondern auch längerfristige Mittel, um sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen und sie zu bewältigen.“
Save the Children appelliert an die Staats- und Regierungschefs, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Kinder im Mittelpunkt stehen. Die Kinderrechtsorganisation fordert die Regierungen ausserdem auf, einen neuen Klimafinanzierungsmechanismus von Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu unterstützen, um die Kosten der Auswirkungen der Klimakrise zu decken. Dazu gehört auch die Unterstützung von Gemeinschaften, die bereits jetzt vom Klimawandel betroffen sind, so wie die Kinder in Afghanistan.
* Name zum Schutz geändert
Zusatzmaterial zum Download (Erlebnisberichte und Fotos von Fahim* und Sohail*) :
www.contenthubsavethechildren.org/Package/2O4C2SDJ0CA0
Unter © Save the Children ist das Material honorarfrei auch zur Weitergabe an Dritte nutzbar.
Hinweise für die Redaktion:
- Nach der Machtergreifung der Taliban im August 2021, hat Save the Children seine Hilfe aufgestockt, um die wachsende Zahl von notdürftigen Kindern zu unterstützen. Die Hilfe erstreckt sich auf die Bereiche Gesundheit, Ernährung, Bildung, Kinderschutz, Unterkünfte, Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene sowie Ernährungssicherheit und Existenzsicherung. Save the Children hat seit September 2021 mehr als 3,3 Millionen Menschen, darunter 1,8 Millionen Kinder, erreicht.
- Quellenangabe zu der Rechnung „70 Prozent der Kinder“:
Etwa 70 Prozent der afghanischen Bevölkerung leben und arbeiten in ländlichen Gebieten, zumeist in landwirtschaftlichen Betrieben, und 61 Prozent aller Haushalte beziehen ihr Einkommen aus der Landwirtschaft, dies berichtet die Weltbank in ihrem Report Jobs from Agriculture in Afghanistan. Somit sind 70 Prozent der Gesamtbevölkerung – 27,8 Millionen Menschen, darunter 13,2 Millionen Kinder – wahrscheinlich einer erhöhten Bedrohung durch extreme Wetterbedingungen ausgesetzt, da sie auf die Landwirtschaft angewiesen sind. Nach Angaben der Weltbank beträgt die Bevölkerung Afghanistans 39,8 Millionen Menschen und UNICEF berichtet, dass 47,7 Prozent der Bevölkerung – oder 18,9 Millionen Kinder – in Afghanistan unter 15 Jahre alt sind. 13,2 Millionen sind 70 Prozent von 18,9 Millionen, also sind 70 Prozent der Kinder in Afghanistan durch die Klimakrise gefährdet.
Kontakt
Adrian Förster | Geschäftsführer | +41 (0)44 267 74 70 | adrian.foerster@savethechildren.ch
Save the Children Schweiz
Jedes Kind verdient eine Zukunft – ob in der Schweiz oder auf der ganzen Welt. Mit dieser Überzeugung unterstützt der Verein Save the Children Schweiz seit 2006 kompromisslos und unermüdlich die am stärksten benachteiligten Kinder. In der Schweiz verwurzelt, ist Save the Children seit 1919 die weltweit führende Kinderrechtsorganisation. Dank unserer lokalen Verankerung in 120 Ländern kennen wir die Situation vor Ort, passen unsere Projekte entsprechend an und können im Notfall unverzüglich helfen. Wir verändern nachhaltig und positiv das Leben von Kindern, besonders in Krisen, auf der Flucht oder in Slums. In der Schweiz setzen wir uns seit 2015 für geflüchtete Kinder ein und verfügen über grosse Expertise im Bereich Asyl und Migration.