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Euroland sucht nach Sündenböcken - Leitartikel

Berlin (ots)

Stellen wir uns vor, wir befänden uns am Ende einer Woche der Negativschlagzeilen, am Ende einer Woche, in der an den Finanzmärkten Nervosität, ja, Panik aufkam. Wenn da eine große Ratingagentur Frankreich zum ersten Mal überhaupt die Spitzennote für seine Kreditwürdigkeit entzogen hätte, dann wäre die Frage gestellt worden: Warum muss die das ausgerechnet jetzt tun und alles nur noch schlimmer machen? Nun hat Standard & Poor's Frankreich tatsächlich am Freitagabend herabgestuft, allerdings am Ende einer Woche, in der Hoffnung aufgekommen war: Hoffnung, dass die Konjunktur sich fängt, Hoffnung, dass die Euro-Krise doch noch glimpflich ausgeht. Und trotzdem stellt sich die Frage: Warum ausgerechnet jetzt? Nun, die Zweifel am Willen der europäischen Regierungen, ihre Probleme anzugehen, sind nach wie vor begründet. Bezeichnend ist, wie schon wieder daran gewerkelt wird, die erst vor fünf Wochen entworfene "Stabilitätsunion" klein zu sägen. Von zwei Leitmotiven ließen sich praktisch alle maßgeblichen europäischen Politiker in den zurückliegenden Krisenjahren leiten. Erstens soll dem Wähler kurzfristig möglichst wenig zugemutet werden, unweigerlich kommende Zumutungen werden so lange wie möglich verheimlicht. Zweitens wird die Verantwortung Dritten zugeschoben - wahlweise oder in Kombination Banken, Spekulanten, Ratingagenturen, Amerikanern. In beiden Fällen lassen sich die Folgen bereits besichtigen. In Deutschland etwa rächt sich die Strategie, dem Steuerzahler vorzumachen, bei den Hilfspaketen handele es sich um Bürgschaften, für die er nie zur Kasse gebeten wird. Bis heute gibt es keinen Kindergarten, der wegen Griechenland nicht gebaut wurde, bis heute wurde keine Autobahn nicht geflickt, weil das Geld für Irland oder Italien gebraucht worden wäre. Und doch schwindet die Bereitschaft, einen substanziellen Beitrag zum Fortbestand der Währungsunion zu leisten. Umso entschlossener wird nun auf Sündenböcke eingeprügelt. Jüngstes Beispiel ist die Finanztransaktionssteuer, auf die sich Berlin und Paris gerade verständigt haben. Diese Anti-Spekulanten-Maßnahme nützt rein gar nichts, um die beiden Kernprobleme zu beseitigen, mit denen Europa wie Amerika kämpfen: die Instabilität gefährlich großer Finanzinstitute und die Überschuldung der Staaten. Die Kanzlerin weiß darum, wird aber die Geister, die sie rufen half, nicht mehr los. Ihre eigene Partei hat sich den Programmpunkt von Attac inzwischen zu eigen gemacht. Nun wird es nicht lange dauern, bis Europas Staatsleute den Zorn des Volkes zur Abwechslung wieder einmal auf die Ratingagenturen zu lenken suchen. Fast ist zu wünschen, dass nun die oft geforderte eigene, europäische Ratingagentur gegründet wird. Die würde entweder zu ähnlichen Urteilen kommen wie die drei Marktführer aus den USA, oder sie würde sich zum Büttel der Politik machen lassen - was rasch weithin erkennbar wäre, da jeder Investor, dem sein Geld lieb ist, sich weiter an den Urteilen der US-Konkurrenz orientieren würde. In beiden Fällen hätten die Verantwortlichen in Berlin und Paris, Madrid und Rom eine Ausrede weniger. Immerhin.

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