Die Freiheit, die ich meine - Leitartikel von Marius Schneider
Berlin (ots)
Euphorie kann ein wunderbarer Zustand sein - wenn auch meist flüchtig und als politische Kategorie nicht ganz unbedenklich. Doch wenn ein Bundespräsident bei seiner Antrittsrede schon nach dem ersten Satz von frenetischem Applaus unterbrochen wird, dann kann man schon mal von Euphorie sprechen. Zumal der Mann, der da redet, von Beruf Pfarrer ist und dieser erste Satz wenig überraschend "Was für ein schöner Sonntag!" lautet. Als frisch gewähltes Staatsoberhaupt für diese Botschaft bereits Begeisterung zu ernten: Da steckt wohl mehr dahinter als schlichtes Entzücken über die Tiefe des Gedankens. "Ein Happy End für Deutschland", sagt eine Bürgerin vor dem Reichstag nach der Wahl von Joachim Gauck. Und es klingt wie eine Zeitungsschlagzeile. Was hat sich da nur entladen, mag man sich fragen. Und: Was soll eigentlich jetzt noch kommen? 991 von 1232 anwesenden Wahlmännern und Wahlfrauen haben ihn an diesem schönen Sonntag zum neuen Bundespräsidenten gewählt - und zum Nachfolger von Christian Wulff. Und auch wenn man es nicht mehr hören mag: Dieser Umstand ist natürlich Teil der Erklärung für die erleichterte Begeisterung. Sein Thema ist der andere Teil: Freiheit. Allzu eng, haben manche bekrittelt. Doch das ist Unsinn. Dass die Freiheit von Unterdrückung nicht nur die Geburtserfahrung des Bürgers Gauck sein sollte, sondern auch die einer ganzen Gesellschaft, deren einer Teil diese Unterdrückung immerhin selbst erfahren hat, wird noch immer von zu vielen zu oft vergessen. Und wie sehr gerade diese Gesellschaft die Freiheit für etwas, also das Bekenntnis zum Mut des Selber-Tun-Wollens noch immer lernen muss, mag jeder an sich selbst ablesen. "Zum Glück der Befreiung gehört die Pflicht der Verantwortung", betont der neue Mann an der Spitze. Und dass er das nicht aus einem Handbuch für Wirtschaftsliberale hat, wie manche unterstellen, beweist er dadurch, dass er seine Forderung an die Pflicht zur Verantwortung für die Generationen nach uns knüpft. Das betrifft Umweltaktivisten ebenso wie Sozialpolitiker oder Unternehmer. Und wohlfeil ist es deshalb trotzdem nicht. Ja, es ist das ganz große Vokabelbesteck des politischen Diskurses, das Gauck da auspackt. Und in der Höhe dieser Begriffswelt wird die Luft bekanntermaßen dünn und die Phrasen schnell hohl. Aber erstens ist es gut, wenn endlich wieder ein Mann an der Spitze des Staates steht, der uns als Bürger und Gesprächspartner auch fordert. Denn mal ehrlich: Die Begriffe Freiheit, Verantwortung, Pflicht sind keine esoterischen Fremdwörter, sondern begegnen uns bei jeder durchschnittlichen "Tatort"-Folge. Man sollte also auch von uns verlangen können, dass wir uns in der realen Welt damit auseinandersetzen. Und zweitens lehrt auch die gestrige Erfahrung mit Gauck wieder einmal: Wenn zwei das Gleiche sagen, ist das eben doch noch lange nicht dasselbe. Glaubwürdigkeit und Authentizität sind Gaucks wichtigste Verbündete. Der meint das so, und der steht auch dafür: Diese Aura ist sein Schlüssel. Endlich wieder einen Top-Politiker zu haben, mit dem man sich eine neue Flughöhe zutraut, das darf einen schon mal ein bisschen euphorisch machen. Was für ein schöner Sonntag, der Satz trifft es genau - auch wenn man weiß, dass nicht jeder seiner Amtstage ein Sonntag sein wird.
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