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Wir müssen uns gute Lehrer leisten Leitartikel von Marius Schneider

Berlin (ots)

Zu den unterschätzten Quellen abendländischen Kulturgutes gehört ohne Zweifel der Lehrer. Latent unterbeschäftigt, so meinen ja viele, mit gleichzeitigem Hang zur geistigen Selbstüberschätzung. So trägt er vor allem im 18. und 19. Jahrhundert zur Mehrung literarischer Pflichtstoffe bei. Was wäre die deutsche Literatur ohne Lenz und Herder? Und Kempowski? Was Dostojewskis "Spieler" ohne den Hauslehrer, der sich einerseits intellektuell meilenweit über seine Mitmenschen erhebt und sich andererseits permanent mit Geldsorgen aller Art herumschlägt? Und so liegt die Versuchung nahe, auch die aktuelle Sreik-Welle dieses Berufsstandes in Berlin als kulturelles Gravitationsgesetz zu betrachten. Frei nach dem Motto: Nur ein jammernder Lehrer ist ein guter Lehrer, auch wenn er sich scheinbar von Ferienzeit zu Ferienzeit hangelt. Dazwischen schreibt er ja möglicherweise einen hübschen Roman - natürlich nachdem er von der letzten Demo zur Verteidigung des Beamtentums nach Hause gekommen ist. Also lassen wir ihn doch jammern. - Doch genau das wäre katastrophal falsch.

Denn Berlin steckt in Wahrheit, was seine Lehrer betrifft, in echten Schwierigkeiten. Es findet nämlich keine neuen. Und das ist angesichts der Tatsache, dass auf den Berufsstand in der Hauptstadt eine - von manchen Betroffenen vor und hinter dem Lehrerpult vielleicht herbeigesehnte - Pensionierungswelle zurollt, ein echtes Problem. Und da das Land gleichzeitig republikweit hartnäckig die rote Laterne in Sachen Bildungsstand seiner Schüler verteidigt, muss sich der Senat in der Tat fragen, wo die vielen jungen, unverbrauchten Pädagogen denn herkommen sollen, die man brauchte, um das zu ändern. Die nämlich weichen lieber in Bundesländer aus, in denen sie noch verbeamtet werden. Und es nicht, wie in Berliner Klassenzimmern, Lehrkräfte erster, zweiter oder sogar dritter Klasse gibt, was die Vergütung und den Status angeht. Und was die Gefahr mit sich bringt, dass auch der Unterricht zweit-, dritt- oder viertklassig wird - wenn er nicht ganz ausfällt.

Nein: Bildung ist die Schlüsselressource für das 21. Jahrhundert. In allen Sonntagsreden zur Globalisierung kann man diese Binse mit Blick auf das rohstoffarme Europa hören. Die Pointe ist, dass sie vor allem in Berlin richtig ist. Die Stadt hat kaum noch Industrie. Sie braucht deshalb den Nimbus als kreativer Bildungsstandort, wenn sie weiter wachsen will. Doch das Ansehen der Schulen ist derzeit eher ein Standortnachteil. Wer hierher kommt, mit Familie und Kindern, kommt eher trotz als wegen des Schulniveaus.

Doch wie ändert man das? Durch Verbeamtung aller, wie die CDU jetzt fordert? Vielleicht nicht notwendigerweise. Aber klar ist auch: Wenn man als Gesellschaft meint, dass Bildung wichtig ist, dann sollte man sich eine angemessene und vor allem gleichgestellte Vergütung für all diejenigen leisten wollen, welche die meiste Zeit mit unseren Kindern verbringen. Und die sie fit machen sollen für ein reiches und erfolgreiches Leben. Die Klagen der Leistungsträger unter den Lehrern - angestellt oder staatsbeamtet - sind deshalb wohl berechtigt und kein bildungsbürgerlicher Luxus.

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Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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