Ein absurdes Losverfahren Leitartikel von Jochim Stoltenberg über die komplizierte Platzvergabe beim NSU-Prozess in München.
Berlin (ots)
Die Frauenzeitschrift "Brigitte" hat einen Journalistenplatz im NSU-Mordprozess ergattert, überregionale Zeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Welt" oder auch die "taz" gingen leer aus. Das zeigt die Absurdität des Losverfahrens für die Berichterstattung über einen in der deutschen Nachkriegsgeschichte bislang einmaligen Prozess. Mehr noch. In dem Prozess gegen das NSU-Trio geht es zugleich auch um Deutschlands Ruf in der Welt. Nichts gegen die "Brigitte". Aber wenn Medien von diesem Prozess ausgeschlossen sind, die Teil des politischen und gesellschaftlichen Lebens in diesem Land sind und durch ihre Berichterstattung und Kommentierung die Meinungsbildung mitprägen, dann kann auch dieses zweite Auswahlverfahren nicht als sachgerecht bewertet werden.
Das diesmal gewählte Losverfahren mag rechtlich ein gangbarer Weg sein. Die Einteilung in drei verschiedene Kontingente mit jeweiligen Untergruppen samt der jeweiligen "Eintopfung" der Akkreditierungsanträge zeugt dagegen wie schon im ersten, vom Bundesverfassungsgericht gekippten Auswahlverfahren, von wenig medialem Gespür. War es im ersten sogenannten Windhundrennen insbesondere die Missachtung der türkischen Medien, ist es diesmal die Verkennung der deutschen Medienlandschaft. Beispiel Zeitungsmarkt. Rund 350 Tageszeitungen erscheinen täglich in Deutschland. Für sie hat das Münchner Oberlandesgericht gerade mal acht Plätze reserviert. Ist das sachgerecht? Die öffentlich rechtlichen Rundfunksender der ARD haben dagegen mit gleich drei Landesanstalten das große Los gezogen. Dabei hat es eine lange Tradition, dass die Sender ihre Berichte in den Informationssendungen gegenseitig austauschen. Ein ARD- Hörfunksender hätte also gereicht und schon wäre mehr Platz für Zeitungskollegen gewesen.
Immerhin will das Gericht diesmal erlauben, dass auserwählte Journalisten ihre Plätze an Kollegen, die kein Losglück hatten, weitergeben dürfen, sollten sie verhindert sein oder das Interesse an der Prozessbeobachtung verloren haben. Das zumindest zeugt von gewachsener Einsicht des Gerichts. Dabei muss man natürlich abwarten, ob sich aus dieser Regelung ein schwunghafter Handel um die auf 50 begrenzten Plätze im Gerichtssaal entwickelt. Darüber hinaus bleibt bei diesem alles andere als überzeugenden Verfahren offen, ob eines der glücklosen Medien erneut klagen wird.
Der Präsident des Oberlandesgerichts München, Karl Huber, hat ja Recht, wenn er sagt, der Kern des Prozesses, der am kommenden Montag beginnen soll, sei, die Schuld der Angeklagten zu prüfen und dann ein Urteil zu fällen. Die Gewährleistung der Öffentlichkeit sei wichtig, gehöre aber nicht zum Kern des Verfahrens. Leider haben OLG-Präsident Huber und seine juristischen Kollegen durch mangelndes Gespür den unseligen Streit um die Presseplätze ausgelöst. Sie müssen jetzt durch eine untadelige Prozessführung wettmachen, was sie im Vorfeld verbockt haben.
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