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Eine präsidiale Bundeskanzlerin
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Angela Merkel kann beruhigt in den Urlaub fahren. Obwohl sie eigentlich gar nicht urlaubsreif ist. Sie erhole sich, so sagte sie jedenfalls am Freitag den Berliner Hauptstadt-Korrespondenten, am besten bei der Arbeit. Natürlich war das auch Koketterie. Aber sie machte in der Tat einen so gelassenen, selbstbewussten und auch schlagfertigen Eindruck, dass von lastendem Druck, Überarbeitung oder Müdigkeit nichts zu spüren war. Eine souveräne Kanzlerin trotz Prism-, Drohnen- und Euro-Krise. Die Fragen konnten noch so bohrend sein, sie rissen nicht wirklich Löcher in ihre Argumentation. Diese war allerdings beim derzeit am strittigsten diskutierten Thema Ausspähprogramm und NSA-Geheimdienst entwaffnend dünn. Sie wisse halt auch nichts und erwarte deshalb von den Amerikanern erstens baldmöglichst umfassende Aufklärung und zweitens danach Verhandlungen über einen besseren Datenschutz, sagte Merkel. Um dann ganz präsidial Grundsatzfragen aufzuwerfen. Von der Verhältnismäßigkeit bei der Nutzung aller technischen Möglichkeiten, der Wucht und der Macht der Globalisierung mit deren Chancen und Risiken bis zum Datenschutz insgesamt, der weit über die Geheimdienste hinaus jeden Bürger betreffe. Wer wollte dem widersprechen? Aber wirklich klüger ist durch die Merkel-Äußerungen keiner geworden. Das gilt auch für die innenpolitischen Probleme. Schleppende Energiewende, versenkte Drohnen-Millionen, gigantische Risiken bei der Euro-Rettung - Fragen danach wurden von Merkel geschickt abgeschmettert oder beispielsweise bei der Drohnen-Frage auf den verantwortlichen Minister Thomas de Maizière abgeschoben, der - um falschen Schlüssen vorzubeugen - dann schnell noch mit einem Lob bedacht wurde. Aber Fragen zu innenpolitischen Themen waren ohnehin rar. Und die wenigen perlten an der Kanzlerin ab oder wurden wieder ins Grundsätzliche weitergedacht. Wie bei einer Frage nach mehr Ganztagsschulen. Darum müsse man sich natürlich in der nächsten Legislaturperiode kümmern. Denn die seien doch die logische Fortsetzung nach dem Anspruch auf einen Kita-Platz, weil anderenfalls die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht befördert werde, sagte Merkel. Damit war der SPD auch noch das nächste Wahlkampfthema entrissen. Peer Steinbrück, der SPD-Kanzlerkandidat, kann einem da fast leidtun. Während Steinbrück giften und polemisieren muss, um gehört zu werden, gefällt sich Angela Merkel in der Rolle der souverän präsidialen Kanzlerin. Und sie spielt diese mit Erfolg, wie die Umfragen zeigen. Aber wird es am 22. September tatsächlich reichen? Nach dem Urlaub wird auch Merkel den politischen Gegnern den Fehdehandschuh hinwerfen müssen, soll es nicht zu einer erneuten Enttäuschung wie 2005 kommen. Derzeit scheint ihr ärgsten Widersacher die Selbstgerechtigkeit der eigenen Partei. Die CDU irrt, wenn sie meint, die Wahl sei schon gewonnen. Zwar scheint Angela Merkel unschlagbar, doch die politischen Lager liegen fast gleichauf. Allem Geschick der Kanzlerin zum Trotz.

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