"Eine neutrale und objektive landwirtschaftliche Information ist wichtiger denn je."
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"Eine neutrale und objektive landwirtschaftliche Information ist wichtiger denn je."
Nach 18 Jahren als Präsident der Westschweizer landwirtschaftlichen Informationsagentur AGIR tritt François Erard von seinem Amt zurück. Doch während sich die Agrar-Initiativen vervielfachen, ist der Direktor von AgriGenève mehr denn je von der Notwendigkeit überzeugt, die Herausforderungen und Realitäten auf dem Land sachlich zu erklären und zu kommunizieren.
Agir: Kommen Sie selbst aus einem landwirtschaftlichen Umfeld?
François Erard: Ganz und gar nicht. Damals hatte man mich ans Gymnasium verwiesen. Aber dort gefiel es mir nicht. Ich wechselte zur Gartenbauschule und arbeitete dann zwei Jahre lang als Selbstständiger. Danach besuchte ich die Ingenieurschule in Changins im Fachbereich Obst- und Weinbau. Daraufhin wurde ich von Bayer eingestellt und fünf Jahre später als Direktor bei AGCETA, der Genfer Vereinigung der landwirtschaftlichen Technikzentren. Als man mich schliesslich 2001 ansprach, ob ich die Leitung des Genfer Bauernverbands (CGA) übernehmen wolle, sagte ich zu, allerdings unter der Bedingung, mit AGCETA zu fusionieren. Dies führte 2002 zur Gründung von AgriGenève.
Um auf AGIR zurückzukommen, was hat Sie zu dieser Funktion motiviert?
Ich war immer der Ansicht, dass es wichtig ist, über die Landwirtschaft zu kommunizieren. Dies sollte unabhängig von den traditionellen Medien geschehen, die auf Sensationsmeldungen setzen. Ausserdem müssen diese Informationen, um glaubwürdig zu bleiben, neutral sein und sollten nicht von einem Bauernverband stammen, welcher politische und gewerkschaftliche Aufgaben wahrnimmt. Aus diesem Grund ist eine Agentur wie AGIR äusserst wichtig, um Zielgruppen, wie Medien, Schulen und auch Konsumenten glaubwürdig anzusprechen..
Hat sich die Rolle der Agentur seit 2004 verändert?
Damals waren die Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung viel friedlicher, wie übrigens auch in der gesamten Gesellschaft. Das Hauptziel der Agentur bestand darin, die Produkte und ihre Qualität hervorzuheben, die Arbeit der Bauern zu würdigen und die Aufgaben der Landwirtschaft zu erläutern. Vor etwa zehn Jahren begann man, die Spannungen zwischen bestimmten Kreisen und der Landwirtschaft zu spüren. Dann sah man, wie es immer mehr Anti-Landwirtschaftsinitiativen gab. Das Verhältnis hat sich wirklich verhärtet und man hat sich damit befassen müssen.
Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Wenn man 2004 bis 2023 betrachtet, entspricht dies einer Generation. Die Verbindungen zwischen der Landwirtschaft und der Bevölkerung haben sich völlig entfremdet. In Genf zum Beispiel verlässt ein Drittel der Einwohner nie die Stadt. Das Ergebnis: Die Stadtbewohner haben realitätsferne Überzeugungen, die zudem von Interessengruppen und Lobbys genährt werden. Das Ganze hat sich durch die Entwicklung des Internets sowie der sozialen Netzwerke, in denen alles und jedes erzählt wird, noch vervielfältigt. Die Mission von AGIR und das Verlangen, die Menschen so objektiv wie möglich zu informieren, sind daher umso wichtiger geworden. Allerdings ist es oft schwierig, sich Gehör zu verschaffen, wenn man keine Sensationsmeldungen bringt.
Sind Sie der Meinung, dass die Landwirte genügend über ihre Tätigkeit kommunizieren?
Von Haus aus sind Landwirte keine Kommunikationsspezialisten. Sie müssen ihren Beruf ausüben. Sie sind auch durch die ganzen Feindseligkeiten, denen sie ausgesetzt sind, sowie die Art und Weise, wie man sie betrachtet, oft entmutigt. Nach dem 2. Weltkrieg hatte der Landwirt einen Status. Er wurde als der für die Gesellschaft unverzichtbare Nahrungsversorger angesehen, danach wurde er zu einem Typen, der zwar produziert, aber auch die Umwelt verschmutzt, Unordnung stiftet, für den Verlust der Artenvielfalt verantwortlich ist und usw. Dieser Imagewandel hat sich in den letzten zehn Jahren beschleunigt. Heute wird die Landwirtschaft für sämtliche Übel auf der Erde verantwortlich gemacht. Und jeder möchte Lösungen für diese Probleme liefern. Allerdings nicht unbedingt realistische. Denn in den Vorstellungen der Stadtmenschen ist Landwirtschaft eine einfache Sache. Man pflanzt, man sät, man erntet. Dennoch, um auf die Kommunikation zurückzukommen, gibt es heutzutage in der jüngeren Generation hypervernetzte Landwirte. Sie sind auf Instagram, Facebook, TikTok, sie haben Youtube-Kanäle... Einige haben sogar eine Kommunikationsausbildung gemacht. Das ist sehr gut.
Wie sollte diese Kommunikation aussehen, um wirksam zu sein?
Man muss didaktisch vorgehen. Aber das ist kompliziert, denn die Leute mögen einfache Erklärungen. Schwarz oder weiss. In Wirklichkeit ist die Agrarwissenschaft eine komplexe Wissenschaft, die gelernt werden muss. Das bedeutet drei oder vier Jahre Ausbildung, danach werden einige Ingenieure, studieren am Poly... Es sind komplexe Fächer, die viel Arbeit erfordern, diese zu erlernen und dann erst noch um sie verständlich zu erklären gegenüber der Gesellschaft.
Wie sollte sich eine Informationsagentur wie AGIR positionieren?
Es wird daran gearbeitet, die Grundlagen der Agentur zu erneuern. Der Schwerpunkt wird auf der Kommunikation über die Landwirtschaft gegen Aussen liegen, mit einer stärkeren Präsenz in den sozialen Netzwerken., an Schulen, Events und auf den Bauernhöfen. Dies erfordert auch andere Mittel. Vor allem, um Videos zu entwickeln. Die Agentur hat diese Richtung bereits in bemerkenswerter Weise eingeschlagen, mit Serien wie die "Kids reporters", in denen Kinder Landwirte interviewen. Mit einer authentischen Ausdrucksweise, weil man den Kindern nichts vortäuschen kann. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir heute ultraleistungsfähige Instrumente zur Verfügung haben, die wir nutzen können, wobei wir uns bewusst sind, dass wir uns aus der Masse hervorheben müssen, um beachtet zu werden.
Warum die Entscheidung, AGIR jetzt zu verlassen?
Weil ich schon zu lange dabei bin (lacht). Es hat sich ausserdem herausgestellt, dass ich das Pensionsalter im Juni 2024 erreichen werde und dieses Mandat vorher beenden möchte. Ich steige nun auch in die Politik ein, mit einer Kandidatur für den Genfer Grossrat. Wenn ich gewählt werde, werde ich mich natürlich weiterhin für die Landwirtschaft einsetzen, ich interessiere mich aber auch für gesellschaftliche Fragen und möchte helfen Antworten darauf zu finden.
Interview: Pascale Bieri, AGIR
info@agirinfo.com