Offener Brief an die EU-Bildungsminister
Brüssel (ots/PRNewswire)
Sehr geehrte Minister,
als Interessenwahrer für Europas kommende Generationen ist Ihnen sicherlich bewusst, dass Kinder bereits im frühen Alter ab 7 Jahre einen entscheidenden Punkt in ihrer Entwicklung erreichen, an dem sie die wichtigen Lebenskompetenzen Lesen, Schreiben und grundlegende Mathematik erlernen. Um allerdings in der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft von morgen erfolgreich sein zu können, sollten sie zusätzlich auch das Programmieren erlernen. Und dies ist bei vielen leider nicht der Fall.
Ganz davon abgesehen, dass Europa zweifelsohne mehr Informatiker und Programmierer braucht, wenn es erfolgreich und wettbewerbsfähig bleiben will - die Anzahl von unbesetzten IKT-Stellen in Europa wird bis 2020 schätzungsweise auf 900.000 ansteigen -, ist die Fähigkeit zu programmieren kein reiner Selbstzweck der Branche. Und sie ist bei Weitem auch nicht nur für "Computerfreaks" interessant oder für Menschen, die eine IKT-Karriere anstreben. Eine Vielzahl attraktiver, kreativer Berufe erfordert ein gewisses Mass an Programmierfähigkeiten. Ob für die Analyse von Gesundheitsdaten, die Entwicklung von Sicherheitssoftware oder zur Erstellung von Spezialeffekten für Filme - Programmierfähigkeiten sind der rote Faden, der Europas Berufe von Morgen durchzieht.
Verbreitung und Niveau des Programmierunterrichts in Europa lassen jedoch nach wie vor zu wünschen übrig. Das Programmieren ist einfach zu erlernen, wird jedoch im Allgemeinen nicht in der Schule unterrichtet. Nur 20 % der europäischen Schulkinder gehen auf Schulen, die es sich offiziell zur übergreifenden Aufgabe gesetzt haben, den Einsatz von IKT in allen Fächern abzudecken. Allzu häufig gelten IKT- und Computerfähigkeiten als Nischenqualifikationen, die wenig mit anderen grundlegenden akademischen Tätigkeiten zu tun haben. In Europa erhalten weniger als 15 % der Schüler Zugang zu einem weiterführenden IKT-Unterricht, der ihnen dabei helfen würde, solche "Kompetenzen für das 21. Jahrhundert" zu entwickeln wie Zusammenarbeit, Selbstkontrolle oder Problemlösung.
Im Sommer dieses Jahres haben die Kommissarin für die digitale Agenda, Neelie Kroes, und die Kommissarin für allgemeine und berufliche Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, Androulla Vassiliou, gemeinsam dazu aufgerufen, Programmieren in allen europäischen Schulen zu unterrichten. Mit Initiativen wie der "EU Code Week", bei der Europäer jeden Alters dazu eingeladen werden, zu entdecken, was hinter den Apps und Geräten steckt, die täglich verwenden, haben sie bewundernswerte Pionierarbeit zur Überwindung digitaler Wissenslücken geleistet, und wir gehen fest davon aus, dass ihre Nachfolger den von ihnen eingeschlagenen Weg fortsetzen werden.
Einige europäische Länder haben sich des Problems bereits angenommen. Erst vor wenigen Wochen fanden englische Schulkinder nach der Rückkehr aus den Sommerferien ein neues Fach auf ihrem Stundenplan vor: Informatik. Anstatt zu lernen, Computer für Textverarbeitung oder zur Erstellung einer Präsentation zu verwenden - was Bestandteil des alten IKT-Lehrplans war -, lernen Kinder ab einem Alter von fünf Jahren nun über Algorithmen, Programmierung und Informationsverarbeitung.
Doch sogar in England ergab eine Umfrage unter Lehrern, dass zwei Drittel der Ansicht sind, nicht genug Unterstützung von ihrer Regierung zu erhalten, um den Lehrplan umsetzen zu können.
Lehrer haben die Macht, Leidenschaften zu entfachen und Inspiration für neue Ideen zu liefern. Und sie nehmen begeistert neue Technologien an und brennen darauf, digitale Fertigkeiten in ihren Klassenzimmern zu fördern. Sie erhalten jedoch nur wenig bis überhaupt keine strukturierte IKT-Ausbildung.
Um in den Schulen zukunftsfähige digitale Fertigkeiten vermitteln zu können, müssen Europas Lehrer von den neuen Lehrplänen überzeugt sein und gut über sie Bescheid wissen. Hierfür wäre ein Ansatz auf zwei Ebenen sinnvoll: Programmieren muss als Unterrichtsfach etabliert werden, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass bereits im Vorfeld langfristige begleitende Ausbildungsprogramme und Unterstützungssysteme entstehen. Denn selbstsichere Lehrer inspirieren Selbstsicherheit im Klassenzimmer.
Wir erkennen dabei auch an, dass wir als Branche unseren Beitrag leisten müssen. Bei der Vorstellung des Programms "Grosse Koalition für digitale Jobs" im März 2013 machte Kommissarin Kroes klar, dass die digitale Revolution in Europa nicht ohne den Beitrag von Technologieunternehmen stattfinden kann. Und wir stimmen zu. Dies ist der Grund, warum wir als das Netzwerk europäischer Bildungsministerien in Partnerschaft mit European Schoolnet stolz darauf sind, Europas erste Programmierplattform* ins Leben zu rufen, die Schülern, Lehrern, Entwicklern und allen, deren Neugier fürs Programmieren geweckt ist, die Möglichkeit bietet, auf Ressourcen, Schulungen und Informationen zu örtlichen Programmierclubs zuzugreifen.
Doch wir müssen über die Grenzen der IKT-Branche hinausgehen. Der Weg des Programmierens steht allen offen, die dabei helfen möchten, Europas Angebot an digitalen Fertigkeiten zu fördern und zu entwickeln. Es ist unbestreitbar, dass Europas Berufstätige von morgen mit beiden Beinen fest in der digitalen Arena stehen müssen - und jeder, der bei diesem zwangsläufig langfristigen Vorhaben einen Beitrag leisten kann, ist willkommen, den Weg gemeinsam mit uns zu beschreiten.
Wir können nicht sicher wissen, wie der europäische Arbeitsmarkt in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Aber als Experten in unserem Bereich sind wir es der europäischen Jugend schuldig, ihr beim Erwerb der für eine erfolgreiche Zukunft notwendigen Fähigkeiten behilflich zu sein - unabhängig von ihrem konkreten Lebensweg.
Hochachtungsvoll,
Stephen Collins Vice President Corporate Affairs EMEA Microsoft
Erika Mann Managing Director, Brüssel Facebook
Manuel Kohnstamm Chief Policy Officer und Senior Vice-President Regulatory and Public Policy Liberty Global
Peter Vesterbacka Mighty Eagle Rovio
Andreas Tegge Head Global Government Relations SAP
*Beim Weltwirtschaftsforum 2014 rief Kommissarin Neelie Kroes Privatwirtschaft, Vertreterorganisationen und Sozialpartner dazu auf, die "Erklärung von Davos" zur Grossen Koalition für digitale Jobs zu unterstützen. Eine der drei konkreten Forderungen dieser Erklärung war, zur Modernisierung des europäischen Bildungssystems beizutragen, um zu gewährleisten, dass kein Schüler die Schule ohne grundlegende IKT-Fertigkeiten verlässt.
Wir, die Unterzeichner, folgen diesem Aufruf und haben uns in Zusammenarbeit mit European Schoolnet und der Unterstützung von Code.org entschieden, eine europäische Plattform ins Leben zu rufen, die qualitativ hochwertige lokalisierte Unterrichtsressourcen für das Programmieren bereitstellt.
Dies ist ein wichtiger Schritt beim Aufbau eines einheitlichen Ansatzes für die Ausbildung digitaler Fertigkeiten in Europa, und wir hoffen, damit ein grosses Spektrum an Interessenvertretern dazu bewegen zu können, das Programmieren als neue grundlegende Fertigkeit für alle Europäer sowie als wichtiges Element in Schullehrplänen und ausserschulischen Aktivitäten anzuerkennen.
Kontakt:
Kontaktdetails: Valentina Garoia, Kommunikations- und
Pressebeauftragte, European Schoolnet, Rue de Trèves 61, B-1040
Brüssel,
Tel.: +32-(0)2-790-75-36 Mobil: +32-(0)488-49-52-46