Verpasste Chance für das Schweizer Gesundheitswesen
Basel, 18. Dezember 2023 – Die von Nationalrätin Sarah Wyss, SP Basel-Stadt, im Dezember 2021 eingereichte Motion «Selbsthilfe» wird nach zwei Jahren ohne Behandlung in der Wintersession 2023 des Nationalrats auf Februar 2024 abgeschrieben. Einmal mehr wurde damit eine Chance für mehr Qualitätssicherung und Patienten-zentriertheit im Schweizer Gesundheitswesen verpasst. Und dies trotz der wissen-schaftlich erwiesenen Nachhaltigkeit des Selbsthilfeangebotes und der markant gestiegenen Angebotsnachfrage. Selbsthilfe Schweiz setzt sich weiterhin für die Förderung von Selbsthilfe im Schweizer Gesundheitswesen ein, von der schlussendlich alle profitieren.
Die Ablehnung der Motionen von 2004, 2016 und 2021 hat gezeigt, dass Selbsthilfeanliegen im Parlament keine Resonanz finden, obwohl der Druck auf das Schweizer Gesundheitswesen ständig steigt und die Nachfrage nach geeigneten Selbstmanagement- und Selbsthilfeangeboten im sozialen, medizinischen und psychosozialen Bereich laufend zunimmt. Die Motion «Selbsthilfe» forderte eine Verankerung der Selbsthilfe in der Schweizer Gesetzgebung, z.B. im Krankenversicherungsgesetz KVG. Davon versprachen sich die Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichner der Motion einen grossen Nutzen für das Schweizer Gesundheitssystem sowie für die Betroffenen und Angehörigen. Zusätzlich forderte die Motion von Nationalrätin Sarah Wyss,
SP Basel-Stadt, eine Rechtsgrundlage für die Förderung der Selbsthilfe, die eine angemessene Finanzierung des umfassenden Selbsthilfeangebots wie z.B. Qualitätssicherung, Weiterbildung, Koordination und die Planung, Umsetzung und Verankerungen von Grossprojekten ermöglicht.
Dafür fehlen aber die notwendigen Finanzen.
Fadenscheinige Begründung
Der Rückschlag des politischen Vorstosses von Nationalrätin Sarah Wyss erfolgt einmal mehr aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Verankerung der Förderung des Selbsthilfeangebots und Unklarheiten über die Kompetenz- und Verantwortlichkeitsregelungen zwischen Bund und Kantonen. Dabei handelt es sich bei Selbsthilfegruppen um ein kostengünstiges und niedrigschwelliges Angebot mit einigem Spar- und Entwicklungspotenzial für das Schweizer Gesundheitswesen. Selbsthilfe Schweiz wird sich trotz des Misserfolges der Motion «Selbsthilfe» weiterhin für eine Förderung der Selbsthilfe in der Schweiz einsetzen.
Steigende Nachfrage
Die Anzahl Selbsthilfegruppen zu rund 300 gesundheitlichen (somatischen, psychiatrischen und psychosozialen) sowie sozialen Themen ist in den letzten sechs Jahren von rund 3000 auf über 4000 gestiegen. Die Mitglieder von Selbsthilfegruppen unterstützen sich gegenseitig bei der Bewältigung ihres Alltags und im Umgang mit oft anspruchsvollen medizinischen oder psychologischen Behandlungen. Dadurch steigt nicht nur die Lebensqualität, sondern die Betroffenen können die verfügbaren Hilfestellungen durch Medizin und Sozialwesen besser nutzen. Zusätzlich bieten Selbsthilfegruppen mögliche Antworten auf schwierige gesellschaftliche und soziale Herausforderungen und auf Fragen der heutigen Zeit auch ausserhalb des Gesundheitswesens.
Entlastung des Gesundheitswesens
Eine Studie der Hochschule Luzern und der Universität Lausanne aus dem Jahr 2017 macht deutlich, dass sich Selbsthilfe sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene positiv auswirkt. Die Selbsthilfe ergänzt die Gesundheitsversorgung und den Sozialbereich und leistet einen Beitrag zur Prävention. Zudem kann sie für neue, gesellschaftlich relevante Themen sensibilisieren. Eine im Hebst 2022 durch das Bundesamt für Gesundheit BAG durchgeführte Literaturstudie zeigt auf, dass eine Förderung der Selbstmanagementkompetenz und damit auch der Selbsthilfe zu einer möglichen Entlastung des Sozial- und Gesundheitswesens und zu möglichen Kosteneinsparungen führen kann.
Zwischen Bank und Stuhl
Selbsthilfe Schweiz plant 2024, neben neuen politischen Vorstössen auch offene Fragen im Gespräch mit Politik, Behörden und Wirtschaft anzusprechen und zu klären. So fördert der Bund
via Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz seit einiger Zeit die «Prävention in der Gesundheits-versorgung» (PGV), zu der auch die Förderung von Selbsthilfe und Selbstmanagement gehören. Auf dieser Grundlage fördert Selbsthilfe Schweiz zwischen 2021bis 2025 mit dem Projekt «Gesundheitskompetenz dank selbsthilfefreundlicher Spitäler» in Zusammenarbeit mit Gesundheitsförderung Schweiz die Zusammenarbeit zwischen Spitälern und Selbsthilfegruppen erfolgreich. Sowohl die PGV wie auch die integrierte Versorgung, von der man sich ähnliche Verbesserungen für die Betroffenen und das Schweizer Gesundheitswesen erhofft, schlagen eine Brücke zwischen der Gesundheitsversorgung einerseits (via Krankenversicherungsgesetz KVG finanziert) und der Prävention andererseits (durch Kantone und Stiftungen finanziert).
Alternativen denkbar
Tatsache aber ist, dass sämtliche Strukturen beim Bund wie offensichtlich auch bei den Kantonen diametral anders gestaltet sind: Entweder ausschliesslich auf die medizinische Versorgung via KVG oder auf die reine Vorbeugung durch Gesundheitsförderung und Primär-/Sekundärprävention ausgerichtet, die durch Kantone und durch NGO organisiert sind. Das Resultat ist, dass erfolgreiche PGV-Massnahmen wie auch die integrierte Versorgung bei den Finanzierungsmechanismen «zwischen Stuhl und Bank» fallen. Selbsthilfe Schweiz schlägt vor, zusammen mit anderen Institutionen aus dem Gesundheitswesen, den Kantonen und Verbänden, Krankenkassen und Stiftungen die für diese Tertiärprävention notwendigen Finanzierungsstrategien längerfristig auch
bei Bund und Kantonen gesetzlich und somit wirkungsvoll und nachhaltig zu verankern, um das Patientenwohl und die Qualität im Gesundheitswesen zu sichern.
Zusätzliche Informationen und Links:
- Gemeinschaftliche Selbsthilfe in der Schweiz (Studie 2017): www.selbsthilfeschweiz.ch/shch/de/was-ist-selbsthilfe/studien-und-literatur.htm
- BAG-Literaturstudie «Mehrwehrt der Selbstmanagement-Förderung» (November 2022): www.selbsthilfeschweiz.ch/shch/de/aktuell/news/2022/selbstmanagement.html
- «Gesundheitskompetenz dank selbsthilfefreundlicher Spitäler» von Selbsthilfe Schweiz in Zusammenarbeit mit Gesundheitsförderung Schweiz: https: www.selbsthilfeschweiz.ch/shch/de/aktuell/sh-freundliche-spitaeler.html
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:
Lukas Zemp, Geschäftsführer Selbsthilfe Schweiz, Tel. 061 333 86 01 oder
Selbsthilfe Schweiz
Seit 2000 agiert die Stiftung Selbsthilfe Schweiz auf nationaler Ebene im Dienst der gemeinschaftlichen Selbsthilfe, unabhängig von der Thematik, dem Grad der Betroffenheit oder der Form der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Die Stiftung hat seit 2001 einen Leistungsauftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV), welche sie zusammen mit 22 regionalen Selbsthilfezentren und verschiedenen Selbsthilfeorganisationen für über 4‘000 Selbsthilfegruppen und rund 65'000 – 70’000 Tausend Teilnehmenden zu über 300 Themen aus dem Gesundheits- und dem Sozialbereich umsetzt. Selbsthilfe leistet einen wichtigen Beitrag zum Schweizer Sozial- und Gesundheitswesen für die Qualität im Gesundheitswesen sowie für die Betroffenen und deren Angehörige.
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