Plastikverschmutzung: Schweizer NGO-Koalition fordert ambitionierte Reform der Regeln für Getränkeverpackungen
In einer gemeinsamen Erklärung an den Bundesrat fordern 10 NGOs die Schweiz auf, beim Thema Kreislaufwirtschaft ihrer Vorreiterrolle gerecht zu werden und bei der Neugestaltung der Vorschriften für Getränkeverpackungen ambitionierte, verbindliche Massnahmen zu ergreifen, die sich an der internationalen Best Practice und dem neuesten Stand der Wissenschaft orientieren.
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG – SWISS PLASTIC ACTION
Plastikverschmutzung: Schweizer NGO-Koalition fordert ambitionierte Reform der Regeln für Getränkeverpackungen
Wädenswil, 10. März 2025 – Angesichts der zunehmenden Plastikverschmutzung, zu der auch die Schweiz beiträgt, hat der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft hohe Dringlichkeit. Daher fordert eine Koalition von 10 Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGOs), dass die Neugestaltung der Vorschriften für Getränkeverpackungen ambitioniert ausfällt. In einer gemeinsamen Erklärung an den Bundesrat fordern diese Organisationen die Schweiz auf, ihrer Vorreiterrolle gerecht zu werden und starke, verbindliche Massnahmen zu ergreifen, die sich an der internationalen Best Practice und dem neuesten Stand der Wissenschaft orientieren. Für die 10 NGOs ist es höchst an der Zeit, dass die Schweiz beim Thema Kreislaufwirtschaft ihren Worten Taten folgen lässt.
Im Vergleich zur Europäischen Union und anderen Vorreitern, hat die Schweiz einen grossen Rückstand aufzuholen. Dafür braucht es eine markante Verringerung der Kunststoffproduktion und eine breite Einführung von Mehrwegsystemen, sonst wird sich das Problem der Plastikverschmutzung weiter verschärfen. Die aktuelle Situation stellt auch ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar: Kunststoffe und ihre giftigen Chemikalien verseuchen die Umwelt, Lebensmittel und sogar den menschlichen Körper, wie unzählige wissenschaftliche Studien weltweit belegen.
Vier Forderungen, um aus der Plastiksackgasse herauszukommen:
- Plastikverschmutzung an der Quelle vermeiden oder – zumindest – reduzieren: Verbindliche Reduktionsziele und umfassende Überwachung der Massnahmen, Verbot unnötiger und giftiger Kunststoffe, Förderung der Wiederverwendung.
- Greenwashing beenden und völlige Transparenz gewährleisten: Verpflichtende Offenlegung der Inhaltsstoffe von Verpackungsmaterial, vollständige Rückverfolgbarkeit von Kunststoffen und Verbot irreführender Behauptungen über angebliche Umweltfreundlichkeit.
- Signifikante Investitionen in Mehrweg und Kreislaufwirtschaft: Aufbau einer gross angelegten Mehrweg-Infrastruktur, die u.a. durch die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) finanziert wird.
- Schutz der öffentlichen Gesundheit: Striktes Verbot gefährlicher Substanzen in allen Kunststoffen, auch in recycelten.
Diese Forderungen sind in einer gemeinsamen Stellungnahme, die dem Bundesrat übermittelt wurde, ausführlich dargelegt.
Warum jetzt handeln?
- Übermässige Produktion: In der Schweiz fällt jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen Plastik an, wovon ein erheblicher Teil verbrannt wird oder die Umwelt verschmutzt.
- Allgegenwart von Mikroplastik: Diese Partikel werden im Schweizer Trinkwasser, in der Luft und im Boden nachgewiesen. Einige Stoffe wurden sogar im menschlichen Körper (Blut, Lunge, Muttermilch, Hoden, Gehirnzellen usw.) nachgewiesen.
- Internationale Fortschritte: Die Europäische Union ergreift ambitionierte Massnahmen zur Reduzierung der Plastikverschmutzung; die Schweiz muss nicht nur mithalten, sondern auch ambitioniert sein. Wer sich auf internationaler Ebene zum Vorreiter erklärt, muss mit gutem Beispiel vorangehen.
- Rückhalt in der Bevölkerung: Einer aktuellen Umfrage zufolge befürworten über 80 % der Schweizer Bürger:innen strenge Massnahmen gegen Plastikverschmutzung. [1]
Statements von unterzeichnenden NGOs
Fabienne McLellan, Geschäftsführerin, OceanCare
„Die steigende Produktion von Neuplastik und der masslose Verbrauch von Kunststoff auch in der Schweiz trägt mit zur globalen Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung. Wenn die Schweiz international einen Beitrag gegen die Plastikflut leisten will, muss sie auch bei sich selber ansetzen und mit gutem Beispiel vorangehen. Die Kreislaufwirtschaft kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, wenn wir bereit sind, weitergehende Massnahmen zu ergreifen und uns einzugestehen, dass Plastik nur bedingt kreislauffähig ist. Wir kommen nicht darum herum, problematische Kunststoffe und Plastikprodukte anzugehen. Mit der Getränkepackungsverordnung bietet sich der Schweiz die Chance, international zu beweisen, dass sie ihrem diplomatischen Engagement Taten folgen lässt.“
Dr. Julien Boucher, Gründer von EA - Earth Action
„Unsere Analysen zeigen, dass die Schweiz selbst bei optimalem Recycling nicht in der Lage sein wird, ihren Plastikfussabdruck deutlich zu reduzieren, wenn nicht die Ursache des Problems angegangen wird: der übermässige Verbrauch. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Mehrweg in Kombination mit einer Reduktion der Plastikproduktion der einzige glaubwürdige Weg zu einer Kreislaufwirtschaft ist – wobei jedoch sichergestellt muss, dass die Unschädlichkeit der eingesetzten Substanzen vor der Markteinführung geprüft wird, ebenso wie ihr ökologischer Fussabdruck im Vergleich zu anderen Alternativen.“
Joëlle Hérin, Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft – Greenpeace Schweiz
„Die Wissenschaft ist zunehmend besorgt über das Vorkommen von Mikroplastik im menschlichen Körper sowie über unsere Exposition gegenüber den problematischen Chemikalien, aus denen es besteht. Wenn der Bundesregierung unsere Gesundheit am Herzen liegt, ist es unerlässlich, die Wiederverwendung auszubauen, unwichtige Einwegverpackungen und -produkte zu eliminieren und gefährliche Substanzen in Kunststoffen zu verbieten.“
Globaler Kontext: Eine Chance, die es zu nutzen gilt
Internationale Verhandlungen für einen rechtsverbindlichen globalen Vertrag gegen Plastikverschmutzung sind im Gange. Die Schweiz wird eine zentrale Rolle spielen, indem sie die fünfte Sitzung des zwischenstaatlichen Verhandlungsausschusses (INC-5.2) ausrichtet, die von 5. bis 14. August 2025 im Palais des Nations in Genf stattfinden soll. Dieser Sitzung werden am 4. August 2025 regionale Konsultationen vorausgehen. Die Schweiz ist ausserdem eine Kandidatin für den Standort des zukünftigen Sekretariats dieses internationalen Vertrags. In diesem Zusammenhang wäre es inkonsequent, würde die Schweiz eine veraltete und unzureichende Plastikregulierung beibehalten. Die NGOs rufen daher den Bundesrat auf, die Überarbeitung der Verordnung über Getränkeverpackungen zu einem starken Signal zu machen: das Signal eines Landes, das seine Führungsrolle im weltweiten Kampf gegen die Plastikverschmutzung annimmt.
Pressekontakte
Charlotte Stalder, EA - Earth Action, charlotte.stalder@e-a.earth, +41 79 588 21 20
Sarah Perreard, EA - Earth Action, sarah.perreard@e-a.earth, +41 79 378 88 27 (nur Whatsapp)
Laurianne Trimoulla, Gallifrey Foundation, laurianne@gallifrey.foundation, +41 79 860 08 45
Dániel Fehér, OceanCare, presse@oceancare, +49 176 81434026
Gemeinsame Erklärung
Unterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge):
- Association pour la sauvegarde du Léman
- Center for International Environmental Law (CIEL)
- Earth Action for Impact
- Fondation Gallifrey
- Greenpeace Schweiz
- KYMA sea & conservation research
- OceanCare
- Plastic Footprint Network
- Trash Hero World
- ZeroWaste Switzerland
Plastikverschmutzung: 10 dringende Forderungen von Schweizer NGOs an den Bundesrat
Schweizer NGOs fordern entschlossene Massnahmen vor der neuen Verpackungsverordnung
Während der Bundesrat eine neue Verpackungsverordnung vorbereitet, fordern NGOs, die zum Thema Plastikverschmutzung in der Schweiz arbeiten, entschlossene und wirksame Massnahmen auf der Grundlage unabhängiger Wissenschaft. Plastikverschmutzung ist nicht nur ein Umweltproblem – es ist auch eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft muss so gestaltet werden, dass sowohl die Menschen als auch der Planet geschützt werden. Es ist auch zu betonen, dass die Plastikkrise weit über Verpackungen hinausgeht und dass der Bundesrat Vorschläge entwickeln sollte, um die Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Plastik in allen Sektoren zu regulieren.
Wir präsentieren zehn Schlüsselmassnahmen, die die Regierung ergreifen muss, um
- Plastikverschmutzung an der Quelle zu verhindern,
- in die notwendige Mehrweg-Infrastruktur zu investieren sowie
- sichere Materialien und Lösungen am Ende des Lebenszyklus zu gewährleisten,
- alles bei gleichzeitiger Verbesserung der Transparenz.
PLASTIKVERSCHMUTZUNG AN DER QUELLE VERHINDERN
1. Verbot von unnötigem Einwegplastik
Die Schweiz sollte sich an internationalen Best Practices orientieren, indem sie unnötige und problematische Einwegartikel schrittweise abschafft, wie zumindest Besteck, Strohhalme und übermässige Verpackungen.
Da die Europäische Union bereits mehrere Einwegartikel aus Kunststoff verboten hat, ohne damit den Trend der Plastikproduktion und -verschmutzung umkehren zu können, muss die Schweiz aus dieser Erfahrung lernen und mit Anreizen für wiederverwendbare Alternativen über ein einfaches Produktverbot hinausgehen.
2. Verbindliche Plastikreduktionsziele einführen
Die Schweiz muss über das Minimum eines Verbots problematischer Einwegkunststoffe hinausgehen, das sich als nicht ausreichend erwiesen hat, um die Plastikverschmutzung zu verringern.
Da es keine strengen gesetzlichen Verpflichtungen gibt, steigt die Plastikproduktion weiter an und überfordert die Abfallwirtschaftssysteme. Die Priorität muss auf Reduktion statt auf Recycling liegen.
3. Schrittweise Abschaffung von nicht recycelbaren und giftigen Verpackungen
Die Schweiz muss Verpackungen verbieten, die nicht effizient und gefahrlos recycelt werden können, und sicherstellen, dass die Ersatzmaterialien wirklich nachhaltig und frei von schädlichen Substanzen sind.
Einige als Alternativen dargestellte Materialien enthalten Kunststoffbeschichtungen oder schädliche Chemikalien. Klare Regulierungsstandards sollten unselige Substitutionen verhindern, welche die ökologische Bewertung von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg nicht verbessern oder sogar zu erhöhten Umwelt- oder Gesundheitsbelastungen führen.
IN EINE SICHERE UND PRAKTIKABLE INFRASTRUKTUR FÜR WIEDERVERWENDUNG & KREISLAUFWIRTSCHAFT INVESTIEREN
4. Nutzung der erweiterten Produzentenverantwortung (EPR) zur Finanzierung von Mehrweginfrastruktur
EPR-Systeme müssen eingeführt oder angepasst werden, um die Entwicklung der Mehrweginfrastruktur zu finanzieren.
Die Schweiz muss sicherstellen, dass die Hersteller zur Abfallvermeidung beitragen, einschliesslich der Wiederbefüllungs- oder Rückgabestationen, statt nur die Kosten für Entsorgung oder Recycling zu decken.
5. Gross angelegte Mehrwegsysteme einrichten
Die Schweiz muss durch gezielte finanzielle und logistische Unterstützung Systeme für wiederverwendbare Verpackungen entwickeln.
Studien zeigen, dass Wiederverwendung den Plastikmüll um bis zu 80% reduzieren, grosse wirtschaftliche Chancen bieten und Arbeitsplätze schaffen kann. Dennoch erfolgt ihre Einführung aufgrund der hohen Anfangsinvestitionskosten und der marktverzerrenden Subventionen für Neuplastik nur langsam. Öffentliche Finanzierung und Investitionen in die Infrastruktur der Mehrwegwirtschaft sind notwendig, um die Voraussetzungen für ein innovatives und rentables Umfeld zu schaffen.
6. Nationale Standards für Wiederverwendungs- und Auffüllsysteme festlegen
Die Schweiz muss die Mehrwegsysteme standardisieren, um sektorübergreifende Kompatibilität und Effizienz zu gewährleisten.
Da es keine einheitlichen Formate und keine einheitliche Logistik gibt, fällt es den Unternehmen schwer, Pfandverpackungssysteme in grossem Umfang einzuführen.
SICHERE MATERIALIEN & LÖSUNGEN AM ENDE DES LEBENSZYKLUS GEWÄHRLEISTEN UND TRANSPARENZ & RECHENSCHAFTSPFLICHT STÄRKEN
7. Gewährleistung vollständiger Transparenz bei Kunststoffmaterialien
Unternehmen müssen ihre Kunststoffzusammensetzungen, die verwendeten chemischen Inhaltsstoffe und die Recyclingfähigkeit ihrer Kunststoffe offenlegen, um eine informierte Politikgestaltung und eine sachkundige Wahl der Verbraucher zu ermöglichen.
Sehr viele Kunststoffe enthalten endokrine Disruptoren, die in die verpackten Lebensmittel und Konsumgüter migrieren können. Transparenz wird eine bessere Regulierung und die Auswahl sichererer Materialien ermöglichen, während die Verwendung gefährlicher Substanzen vermieden wird.
8. Verhindern, dass Chemikalien in Kunststoffen und das Recycling neue Gesundheitsrisiken schaffen
Kunststoffe können 16.000 verschiedene chemische Substanzen enthalten, und nur 6 % davon sind reguliert. Die Schweiz muss gefährliche Substanzen in Kunststoffen verbieten, um schädliche Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu verhindern.
Bei den derzeitigen Recyclingverfahren bleiben problematische Stoffe zurück, die in Lebensmittel und Konsumgüter migrieren können. Es ist notwendig, unbeabsichtigt eingebrachte Substanzen (NIAS) zu regulieren und gefährliche Stoffe zu verbieten.
9. Irreführende Behauptungen über Wiederverwertbarkeit und Nachhaltigkeit (Greenwashing) beenden
Die Schweiz muss irreführenden Behauptungen über die Recyclingfähigkeit ein Ende setzen und eine klare und präzise Kennzeichnung in Bezug auf Recycling, Kompostierbarkeit und biologische Abbaubarkeit verlangen.
Viele Produkte geben vor, recycelbar zu sein, obwohl sie es nicht sind. Dies führt die Verbraucher in die Irre und behindert die Bemühungen der Abfallwirtschaft. Strenge Regeln für eine transparente Kennzeichnung sind von entscheidender Bedeutung.
TRANSPARENZ & RECHENSCHAFTSPFLICHT STÄRKEN
10. Verpflichtung zu vollständiger Transparenz über Produktion, Import, Export, Verwendung, Wiederverwendung, Recycling, Kompostierung, Verbrennung usw. von Kunststoffen und über deren Folgewirkungen
Die Schweiz muss strenge Transparenzregeln für die Produktion, die Wiederverwertbarkeit und die Auswirkungen der Entsorgung von Kunststoffen anwenden.
Unternehmen müssen ihre Verwendung aller Kunststoffe, der damit verbundenen Stoffe und des unsachgemäss entsorgten Kunststoffabfalls offenlegen und für Behauptungen über die Recyclingfähigkeit rechenschaftspflichtig gemacht werden. Dadurch werden irreführende Informationen vermieden und eine effektive Politikgestaltung gewährleistet.
[1] Greenpeace (2024). Mehr als 26.000 Menschen in der Schweiz fordern ein ehrgeiziges Plastikabkommen.
Über OceanCare
OceanCare setzt sich seit 1989 weltweit für die Meerestiere und Ozeane ein. Mit Forschungs- und Schutzprojekten, Umweltbildungskampagnen sowie intensivem Einsatz in internationalen Gremien unternimmt die Organisation konkrete Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Weltmeeren. OceanCare ist vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen als Sonderberaterin für den Meeresschutz anerkannt und ist offizielle Partnerorganisation in zahlreichen UN-Abkommen und internationalen Konventionen. OceanCare engagiert sich zudem in internationalen zivilgesellschaftlichen Bündnissen wie der High Seas Alliance, Seas at Risk, oder der #BreakFreeFromPlastic-Koalition. www.oceancare.org
Material von OceanCare zum Thema Plastikverschmutzung:
- OceanCare-Bericht "Plastic Matters. A state of affairs, facts, legislation & recommended actions in Switzerland", Dezember 2022
- OceanCare-Bericht: "Making the Environmental Protection Act Matter. Recommendations for stringent environmental legislation on plastics in Switzerland", November 2024
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OceanCare Dániel Fehér, Pressesprecher Gerbestrasse 6 CH-8820 Wädenswil +49 176 81434026 dfeher@oceancare.org www.oceancare.org