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Historische Untersuchung von Fragen zur Rolle Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg

Vaduz (ots)

Wie andere Länder ist Liechtenstein an einer
Aufarbeitung seiner Geschichte in der Zeit des Zweiten Weltkrieges
interessiert. Es gibt bereits verschiedene historische Untersuchungen
zu diesem Thema, die publiziert worden sind. Eine breit angelegte
wissenschaftliche Forschungsarbeit über die Zeit des Zweiten
Weltkrieges steht kurz vor dem Abschluss. Aufgrund von Vorstössen und
in der Oeffentlichkeit aufgeworfenen Fragen sieht sich die Regierung
veranlasst, spezielle Fragen zur Rolle Liechtensteins im Zweiten
Weltkrieg vertieft abklären zu lassen. Die Regierung hat im Dezember
2000 ein Strategiepapier im Hinblick auf die Aufarbeitung der Rolle
Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg verabschiedet und die Einsetzung
einer Historikerkommission angekündigt. In einer
Koordinierungsgruppe, in welcher neben der Regierung auch
Wirtschaftsverbände des Landes vertreten waren, wurden bis zum
heutigen Tag verschiedene Vorarbeiten geleistet und Anträge
vorbereitet, in denen sich die Regierung in der Sitzung vom 22. Mai
2001 befasst hat.
Die Regierung hat anlässlich dieser Sitzung eine unabhängige
Historikerkommission zu spezifischen Fragen zur Rolle Liechtensteins
im Zweiten Weltkrieg bestellt. Gleichzeitig hat sie einen Beratungs-
und Koordinierungsausschuss eingesetzt, welcher die Regierung in
allen in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen, insbesondere im
Bereich der Innen- und Aussenpolitik, der Oeffentlichkeitsarbeit und
der Konsequenzen aus der Historikerarbeit berät. Im Weiteren hat die
Regierung einen Vernehmlassungsbericht zu einem Gesetz verabschiedet,
welches die historische und rechtliche Untersuchung von
Vermögenswerten, die während der nationalsozialistischen Herrschaft
in das Fürstentum Liechtenstein gelangt sind, regelt. Das
entsprechende Gesetz soll es der Historikerkommission und den von
dieser beauftragten Forscherinnen und Forschern ermöglichen,
Akteneinsicht in Dokumente und Archive zu erhalten, um die Rolle
Liechtensteins im Zweiten Weltkrieg glaubwürdig aufarbeiten zu
können.
Unabhängige Historikerkommission
Im Hinblick auf die historische Untersuchung und die speziellen
aktuell aufgeworfenen Fragen und Vorstösse zu Liechtenstein im
Zweiten Weltkrieg hat die Regierung eine Historikerkommission
bestellt, welche diese Fragen und Vorstösse wissenschaftlich
untersuchen und aufklären soll, unter Berücksichtigung bereits
vorliegender sowie laufender Forschungsarbeiten. Abzuklären hat die
Kommission insbesondere die Frage, ob Liechtenstein allenfalls
geholfen hat, geraubte Vermögenswerte zu verstecken und zu
verschieben. Die Kommission setzt sich wie folgt zusammen:
-  PD Dr. Peter Geiger, Schaan, Präsident
   -  Lic.phil. Arthur Brunhart, Balzers, Vizepräsident
   -  Prof. Dr. Erika Weinzierl, Wien
   -  Prof. Dr. Carlo Moos, Zürich
   -  Prof. Dr. David Bankier, Jerusalem
   -  Prof. Dr. Dan Michman, Ramat-Gan
Untersuchungsgegenstand der Historikerkommission sind in erster
Linie Vermögenswerte, die infolge der nationalsozialistischen
Herrschaft vor, während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg
allenfalls nach Liechtenstein gelangt, oder über Liechtenstein in
andere Staaten verschoben worden sind. Daneben hat die Kommission
auch weitere Fragen aus dem Umfeld abzuklären, so insbesondere zur
liechtensteinischen Flüchtlingspolitik und zur Kriegsproduktion für
Deutschland. Bereits vorgenommene oder laufende wissenschaftliche
Forschungsarbeiten und deren Ergebnisse sind von der Kommission
einzubeziehen. Die Untersuchung soll unabhängig erfolgen und der
historischen Wahrheitsfindung dienen.
Der von der Regierung erteilte Untersuchungsauftrag dauert zwei
Jahre ab Beginn der Forschungstätigkeiten. Die Kommission wird die
Gesamtergebnisse in einem Schlussbericht vorlegen. Sie orientiert die
Regierung regelmässig über den Stand der Arbeiten. Die Kommission
kann selbständig Forscherinnen und Forscher mit bestimmten
wissenschaftlichen Untersuchungen beauftragen.
Die Mitglieder der Kommission sowie deren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter unterstehen dem Amtsgeheimnis. Die Beratungen der
Kommission und die Gesamtheit ihrer internen Dokumente sind
vertraulich. Die Verwendung von Dokumenten und die Weitergabe von
Informationen aus nicht-öffentlich zugänglichen Aktenbeständen ist
nur unter Einwilligung der Regierung erlaubt.
Für die Arbeiten rund um die Aufarbeitung der Rolle Liechtensteins
in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und insbesondere für die Arbeiten
der unabhängigen Historiker- kommission stehen gemäss Budget für das
laufende Jahr vorläufig 300'000 Franken zur Verfügung. Die Regierung
wird dem Landtag nach der Sommerpause einen Bericht und Antrag über
die Genehmigung eines Verpflichtungskredites für die Tätigkeit der
Historikerkommission und die weiteren in diesem Zusammenhang
anfallenden Ausgaben unterbreiten.
Beratungs- und Koordinierungsausschuss
Die Regierung hat gleichzeitig einen Beratungs- und
Koordinierungsausschuss bestellt, welcher die Regierung zu Fragen in
Zusammenhang mit der historischen Untersuchung berät. Dieser
Ausschuss setzt sich wie folgt zusammen:
  • Fürstlicher Rat Hans Brunhart, Alt-Regierungschef, Balzers, Vorsitz
  • Lic.'s sc.pol. Norbert Hemmerle, Regierungssekretär, Vaduz
  • Dr.h.c. Michael Kohn, ehemaliger Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Zürich
  • Botschafter lic.rer.pol. Roland Marxer, Leiter des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten, Vaduz
Der Ausschuss berät die Regierung in allen in Zusammenhang mit dem
Thema "Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg" aufkommenden Fragen, so
insbesondere im Bereich der Oeffentlichkeitsarbeit und der
gesellschafts- und bildungspolitischen Konsequenzen aus der
Historikerarbeit. Er unterstützt die Arbeit der Historiker-
kommission bezüglich Erhaltung eines ihrer wissenschaftlichen
Tätigkeit förderlichen Umfelds. Der Ausschuss fungiert als
Ansprechstelle gegenüber den im In- und Ausland domizilierten und
durch die Thematik berührten Organisationen und Interessengruppen.
Der Ausschuss hält mit den betroffenen internationalen jüdischen
Institutionen und anderen interessierten Kreisen Kontakt. Der
Beratungs- und Koordinierungsausschuss ist insbesondere auch
Ansprechstelle für die inländischen Interessenvertreter aus
Industrie- und Finanzdienstleistungsbereich (Banken, Treuhänder,
Rechtsanwälte). Ueber die Mitglieder des Koordinierungsgremiums der
inländischen Interessenvertreter wird die interne Information zu
allen Fragen in Zusammenhang mit der historischen Untersuchung
sichergestellt.
Pflicht zur Aktenaufbewahrung und zur Gewährung von Akteneinsicht
Im Hinblick auf diese historische Untersuchung erscheint es der
Regierung wichtig, dass neben allen amtlichen Unterlagen (z.B. im
Landesarchiv) auch alle weiteren benötigten Dokumente aus der
fraglichen Zeit bei den Unternehmen und Betrieben (Banken,
Industriebetrieben, Treuhandgesellschaften, Rechtsanwaltskanzleien)
der Historikerkommission zur Durchführung der notwendigen Abklärungen
zur Verfügung stehen. Die in diesem Zusammenhang betroffenen
Wirtschaftsverbände haben ihre Mitarbeit zugesagt. Mit dem Gesetz
betreffend die historische und rechtliche Untersuchung zu während der
nationalsozialistischen Herrschaft in das Fürstentum Liechtenstein
gelangten Vermögenswerten soll sichergestellt werden, dass die
allenfalls vorhandenen Akten aufbewahrt bleiben und die Akteneinsicht
in die entsprechenden Dokumente gewährt wird. Die im Gesetz
statuierte Pflicht zur Gewährung der Akteneinsicht geht jeder
gesetzlichen und vertraglichen Geheimhaltungspflicht vor. Die
Regierung hat den Vernehmlassungsbericht zu diesem Gesetz genehmigt
und dem Liechtensteinischen Bankenverband, der Liechtensteinischen
Rechtsanwaltskammer, der Liechtensteinischen Treuhändervereinigung
und der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer zur
Stellungnahme bis zum 13. Juli 2001 unterbreitet.

Kontakt:

Presse- und Informationsamt des Fürstentums Liechtenstein (pafl),
Tel. +423/236 67 22, Fax +423/236 64 60.
Ressort: Aeusseres/Regierungsrat Ernst Walch
Sachbearbeitung: Regierungssekretär (+423/236 60 06)
Nr. 245 1/868-0208

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