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Keine neuen Stellen für Behinderte bei den grossen Schweizer Unternehmen

Zürich (ots)

Nach dem Willen des Bundesrates sollen im Rahmen
der 6. IVG_Revision in den nächsten Jahren 16'800 heutige 
IV-Rentnerinnen und -Rentner aus der Rente heraus- und in den ersten 
Arbeitsmarkt zurückgeführt werden. Sind die Schweizer Unternehmen 
bereit, die dafür notwendigen Arbeitsstellen zu schaffen? Pro 
Infirmis, die grösste Fachorganisation im Behindertenwesen, wollte es
wissen und befragte im November 35 grosse Schweizer Unternehmen. Das 
Ergebnis ist mehr als ernüchternd.
Drei Fragen stellte Pro Infirmis den 35 Top-Unternehmen:
  • Wie viele Menschen mit Behinderung beschäftigen Sie heute?
  • Wie viele Menschen mit Behinderung wären Sie künftig bereit, zusätzlich einzustellen, um den Zielen der 6. IVG-Revision nachzuleben?
  • Wie viele Beschäftigte hat Ihr Unternehmen heute total.
Mehr als die Hälfte der angeschriebenen Unternehmen reagierten gar
nicht erst auf die Umfrage, darunter so illustere Namen wie Nestlé, 
Roche, Swisscom, Axpo, SwissRe, Raiffeisen, Sulzer, OC Oerlikon, 
Manor, Givaudan oder Gategroup. Sie konnten oder wollten die 
gestellten Fragen offensichtlich nicht beantworten und geben damit 
dem sozialpolitisch wichtigen Thema nicht den nötigen Stellenwert.
Siemens Schweiz, Baloise und Swatch Group antworteten kurz und 
bündig mit "Wir werden an dieser Umfrage nicht teilnehmen". Zürich 
Versicherungen liess ausrichten, sie könnten "im Moment diese Fragen 
nicht beantworten." Die Thematik werde aber innerhalb des 
Schweizerischen Versicherungsverbandes diskutiert.
Die beiden Grossbanken UBS und CS (beide mit über 20'000 
Vollzeitstellen) können keine Angaben machen zur aktuellen 
Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen oder 
Leistungseinschränkungen. "Wir haben Richtlinien, die klar darauf 
hinweisen, dass behinderte Mitarbeiter im Stellenbesetzungsprozess 
nicht benachteiligt werden dürfen: Sie stehen in einem normalen 
Konkurrenzverhältnis zu Kandidaten ohne Behinderung", schreibt UBS. 
Und CS: "Credit Suisse geht von den Fähigkeiten der Menschen aus und 
nicht von den Einschränkungen. Wenn die Fähigkeiten den 
Stellenanforderungen entsprechen, gibt es keinen Grund, 
Nichtbehinderte gegenüber Behinderten zu bevorzugen."
Der Aufzug- und Fahrtreppen-Hersteller Schindler erhebt 
Mitarbeitende mit Behinderungen/Leistungseinschränkungen "nicht 
systematisch". "Unsere körperlich und psychisch anspruchsvollen 
Tätigkeiten mit Kundenkontakt lassen nur beschränkt oder aus 
Sicherheitsgründen gar keinen Einsatz behinderter Menschen zu."
Substantielle Antworten kamen von Migros, Coop, SBB, Post, 
Swisslife, ABB, Novartis, und Georg Fischer. Sie alle machen Angaben 
zur aktuellen Zahl von Beschäftigten mit einer 
Behinderung/Leistungseinschränkung. Bei Migros und Coop liegt die 
Zahl der IV-Rentner/innen bei ca. 1% der gesamten Mitarbeiterzahl. 
Diese Zahl könnte - so Coop - durchaus noch höher liegen, "da ein 
Teilzeit-Angestellter den Arbeitgeber nicht zwingend über eine 
Teilrente informieren muss."
"Bei der Post arbeiten rund 700 Menschen mit einer Behinderung", 
heisst es in der Antwort des gelben Riesen. Das entspricht rund 1,6% 
der 44'000 Vollzeitstellen. Ähnlich das Ergebnis bei Georg Fischer: 
"In der Schweiz beschäftigen wir unter 1% körperlich Behinderte. 
Konzernweit liegt der Durchschnitt bei 2,2%". SwissLife zählt 30 
Personen mit Behinderungen unter den Mitarbeitenden. "Es ist davon 
auszugehen, dass eine weitere Anzahl Personen mit nicht sichtbaren 
und noch nicht bekannten Behinderungen bei uns beschäftigt sind", 
heisst es weiter in der Antwort von SwissLife. ABB beantwortet die 
Frage nach dem aktuellen Stand von Beschäftigten mit einer 
Einschränkung mit "Ein paar wenige". Und Novartis meldet, dass 
"durchaus behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind. 
Angaben dazu liegen nicht vor, weil Behinderungen bei voller 
Arbeitsfähigkeit aus Gleichstellungsgründen nicht erfasst werden 
dürfen." Der Spezialchemikalienhersteller Clariant beschäftigt zur 
Zeit "zwischen 1 und 3" Personen mit Behinderung.
Kein Commitment für die Zukunft
Ernüchternd dann die Antworten auf die zweite Frage: "Wie viele 
Menschen mit Behinderung wäre Ihr Unternehmen bereit zusätzlich 
einzustellen, um den Zielen der 6. IVG-Revision nachzuleben?"
UBS (Total 23'367 Vollzeitstellen): "Für die Besetzung einer 
Stelle ist ausschlaggebend, ob der Bewerber über die geforderten 
Fähigkeiten verfügt. Wir sind uns bewusst, dass diese Angaben nicht 
alle Informationen enthalten, die Sie mit der Umfrage erheben 
wollen."
CS (Total 21'000 Vollzeitstellen): "Die Chancengleichheit gehört 
zu den grundlegenden Prinzipien bei der Credit Suisse und sind auch 
im Code of Conduct der Bank verankert."
SBB (Total 25'575 Vollzeitstellen): "Da die Möglichkeiten der SBB 
zur Behindertenintegration (insbesondere unter der sehr spezifischen 
Voraussetzung hoher Sicherheitsauflagen) zur Zeit durch die eigenen 
Mitarbeitenden vollständig ausgeschöpft werden, muss die SBB davon 
Abstand nehmen, zusätzliche Personen mit gesundheitlichen 
Einschränkungen zu reintegrieren."
Coop (Total 44'154 Vollzeitstellen): "Wir machen die Erfahrung, 
dass das Problem mit dem Einrichten von Nischenarbeitsplätzen nicht 
gelöst ist. Jeder IV-Rentner, jede IV-Rentnerin benötigt andere 
Voraussetzungen. Das bedeutet, dass die Arbeitsplätze von Fall zu 
Fall individuell ausgesucht werden müssen. Das macht die Schaffung 
solcher Stellen nicht einfach."
Migros (Total 61'734 Vollzeitstellen): "Da die Migros-Gruppe keine
zentrale Personalplanung vornimmt, können wir hierzu keine 
verlässliche Aussage machen."
Georg Fischer (Total 2'560 Vollzeitstellen): "Dies wird so nicht 
erhoben und kann nicht beantwortet werden."
Post (Total 44'000 Vollzeitstellen): "Diese Frage lässt sich heute
nicht beantworten. Erhebung wäre sehr aufwändig, um eine gesicherte 
Zahl festzusetzen. Ausserdem ist die Post der Meinung, dass sie mit 
700 Personen mit einer Behinderung bereits heute einen wichtigen 
Beitrag zu diesem Thema leistet."
Schindler (Total 3'400 Vollzeitstellen): "Zur Einstellung 
zusätzlicher Menschen mit Behinderung haben wir bis dato nicht 
konkret entschieden und können Ihre Anfrage daher leider noch nicht 
beantworten. Durch Ihre Anfrage sind wir aber dazu angeregt, uns 
hierüber Gedanken zu machen, unabhängig von einer IVG-Revision."
SwissLife (Total 1'732 Vollzeitstellen): "Unser Bestreben geht vor
allem dahin, in unserem Betrieb die Früherkennung möglicher Fälle 
sicherzustellen und damit zu vermeiden, dass Invalidisierungen 
vorgenommen werden müssen. Eine Anzahl von Vollzeitstellen zu nennen,
die zusätzlich mit Behinderten besetzt werden könnten, ist nicht 
möglich."
ABB (Total 6'200 Vollzeitstellen): "Ein solcher Entscheid liegt 
bei der GL von ABB Schweiz."
Novartis (Total 12'000 Vollzeitstellen): "Zu Frage 2 möchten wir 
uns eines Kommentars enthalten, da die Zielsetzung der 6. 
IVG-Revision und auch der Arbeitsmarkt selbst verschiedensten 
Variablen unterliegen, auf die wir keinen Einfluss haben."
Clariant (Total 1'300 Vollzeitstellen): max. 4 bis 6.
Eine löbliche Ausnahme macht die Maschinenfabrik Rieter in 
Winterthur (772 Vollzeitstellen): Sie beschäftigt heute 7 Mitarbeiter
(knapp 1%) mit Behinderungen/Leistungseinschränkungen und will diesen
Prozentsatz in der Zukunft auf 10% erhöhen!
Quote von 2% gefordert
Doch diese löbliche Ausnahme täuscht nicht darüber hinweg: Das 
Vorhaben, die defizitäre IVG-Rechnung durch die Streichung von 16'800
IV-Renten bei gleichzeitiger Reintegration der betroffenen Menschen 
in den ersten Arbeitsmarkt zu entlasten, scheint gescheitert, bevor 
das Geschäft am nächsten Dienstag im Nationalrat behandelt wird. Nur 
eine verbindliche Quoten-Regelung oder ein griffiges 
Bonus-Malus-System wird es möglich machen, die gesteckten Ziele zu 
erreichen. Pro Infirmis fordert deshalb eine Quote von 2 % für 
Betriebe ab 20 Vollzeitstellen.  Denn ohne Arbeit würden diese 
IV-Rentner/innen in die Sozialhilfe abgeschoben und damit in die 
Armut getrieben. Ein sozialer "Drehtür-Effekt" wäre die unmittelbare 
Folge.

Kontakt:

Pro Infirmis
Mark Zumbühl, Mitglied der Geschäftsleitung
Tel.: +41/44/388'26'77
Mobile: +41/44/79/415'26'27
E-Mail: mark.zumbuehl@proinfirmis.ch

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