Revision StromVG: Langfristige Versorgungssicherheit ins Zentrum rücken
Aarau (ots)
Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE nimmt den Vernehmlassungsvorschlag des Bundesrats zur Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) zur Kenntnis und äussert dazu in seiner Stellungnahme Vorbehalte. Die vorgeschlagenen Massnahmen zur Sicherung der Versorgungssicherheit in der Schweiz gehen aus Sicht des VSE zu wenig weit. Es fehlen Ansätze, welche Investitionen in bestehende und neue Produktionsanlagen im Inland sicherstellen. Insbesondere muss den Entwicklungen im europäischen Umfeld besser Rechnung getragen werden, welche sich negativ auf die Importfähigkeit der Schweiz auswirken werden.
Der VSE hat den Vernehmlassungsvorschlag des Bundesrats zur Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) in den vergangenen Wochen im Detail geprüft und dazu gestern seine Stellungnahme eingereicht.
Massnahmen für die langfristige Versorgungssicherheit nötig
Im europäischen Umfeld ist innerhalb von wenigen Jahren ein massiver Abbau an gesicherter Kapazität absehbar, der sich negativ auf die Importfähigkeit der Schweiz auswirken wird. "Der Markt schafft heute keine Anreize für Investitionen. Nur wenn in die bestehende und in neue einheimische Produktion investiert wird, kann die Versorgungssicherheit langfristig in allen Jahreszeiten sichergestellt werden", sagt Michael Frank, Direktor VSE. Die Revision des StromVG gibt auf diese Herausforderungen keine befriedigenden Antworten. Der VSE teilt grundsätzlich die Ziele des Bundesrates, nicht jedoch die Schlussfolgerungen zur Versorgungssicherheit, da diese die kritischen Entwicklungen im europäischen Umfeld nicht hinreichend berücksichtigen. Damit im Kontext der Versorgungssicherheit die relevanten Schlüsse gezogen werden können, muss die zugrundeliegende System-Adequacy-Analyse des Bundesamtes für Energie unbedingt hinsichtlich der Entwicklungen im europäischen Umfeld angepasst werden
Im Bereich der Netzregulierung sieht der VSE keinen grundlegenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Das StromVG hat sich grundsätzlich bewährt. Staatseingriffe und Anpassungen des regulatorischen Rahmens sollen nur vorgenommen werden, wenn nachweislich eine Notwendigkeit besteht. "Es braucht nicht mehr Regulierung, sondern mehr Gestaltungsfreiraum für innovative und auf die jeweilige Situation zugeschnittene Ansätze", betont Michael Frank. "Die Netzregulierung stammt noch aus dem letzten Jahrhundert und muss dringend an die heutige Realität der Energiestrategie 2050 angepasst werden."
Korrekturen in allen zentralen Themen der Vorlage notwendig
Der VSE sieht Korrekturbedarf in allen zentralen Themen der Vorlage. "Unser Hauptfokus liegt auf der Frage, ob die Revision zur langfristigen Gewährleistung der Versorgungssicherheit beiträgt und die Finanzierung der einheimischen Produktion sicherzustellen vermag", sagt Michael Frank. Die Vorschläge des Bundesrates gehen dazu zu wenig weit und bieten keine valable zweite Phase der Energiestrategie 2050. Weiter muss die Netztarifierung dringend an die heutige Realität angepasst werden: "Statt mehr Gestaltungsfreiraum droht nun jedoch gesetzliche Überregulierung", betont der Direktor des VSE.
Die ausführliche Stellungnahme zum Vernehmlassungsvorschlag hat der VSE gestern beim Bundesamt für Energie eingereicht.
Das Wichtigste aus der Stellungnahme VSE im Überblick:
Marktdesign - fehlende Investitionsanreize: Ein wirksames Marktdesign muss effiziente Märkte und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, damit die Richtwerte der Energiestrategie 2050 und die Klimaziele der Schweiz erreicht und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden können. Die vorgeschlagenen marktbasierten Instrumente alleine werden dazu nicht ausreichen. Nebst Instrumenten für die kurzfristige Versorgungssicherheit, braucht es langfristige Anreize für Investitionen in bestehende und neue Produktionsanlagen sowie Massnahmen, welche bei langanhaltend tiefen Marktpreisen wirksam werden. Bestandteil des Marktdesigns ist zudem eine Flexibilisierung des Wasserzinses, welche bei einer allfälligen vollständigen Marktöffnung umso dringlicher wird.
Speicherreserve - sinnvoll aber kein Garant für Versorgungssicherheit: Eine Speicherreserve dient der kurz- bis mittelfristigen Versorgungssicherheit. Sie bewirkt jedoch keine zusätzlichen Investitionen und leistet somit keinen Beitrag, um langfristig der Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Knappheitssituationen entgegenzuwirken. Die Ausgestaltung der Speicherreserve muss möglichst offen sein, so dass insbesondere auch Verbraucher daran teilnehmen können. Eine Angebotsverpflichtung für Verbraucher, Speicherkraftwerksbetreiber und Speicherbetreiber lehnt der VSE ab. Die Entschädigung für den Abruf muss sich nach dem Marktpreis richten.
Vollständige Strommarktöffnung - Beurteilung und Ausgestaltung im grösseren Kontext: Die vollständige Marktöffnung muss im Gesamtkontext beurteilt werden. Sollte diese durch den Gesetzgeber beschlossen werden, braucht es im Prinzip keine Grundversorgung. Im Fall einer vollständigen Marktöffnung ist eine Übergangszeit von mindestens zwei Jahren nötig, um den Aufbau der nötigen Prozesse und IT-Systeme zu gewährleisten. Ferner ist die Abnahme- und Vergütungspflicht aufzuheben.
Grundversorgung - ohne Produkt- und Preisregulierung: Wird im Fall einer vollständigen Marktöffnung an einer Grundversorgung festgehalten, ist sowohl auf eine Preis- wie auch auf eine Produktregulierung zu verzichten, da genügend Substitutionsmöglichkeiten bestehen und keine Marktmacht vorhanden ist. Die Endkunden haben jedes Jahr die Möglichkeit, aus der und in die Grundversorgung zu wechseln. Die Grundversorgung unterliegt damit den Marktkräften. Eine Preisregulierung ist unnötig. Eine Produktvorgabe ihrerseits greift in die unternehmerische Freiheit einzelner Marktakteure ein und stellt in Kombination mit einer Preisvorgabe ein unzumutbares Risiko für die Verteilnetzbetreiber dar. Der Absatz in die Grundversorgung wird zudem zu klein und zu unsicher sein, um die erhofften Signale für Investitionen in heimische, erneuerbare Energien zu bewirken.
Messwesen - keine Liberalisierung: Der VSE lehnt eine Liberalisierung im Bereich des Messwesens ab. Sie bringt einen erheblichen Mehraufwand, der in keinem Verhältnis zum vergleichsweise geringen Marktvolumen steht. Die volkswirtschaftlichen Kosten wären grösser als das Ertragspotenzial. Dies bestätigen auch internationale Erfahrungen. Das bestehende, systemzentrisch ausgerichtete Messwesen ist in sich kongruent, effizient und regulatorisch überschaubar. Das Ausmass der staatlichen Intervention bei einer Teilliberalisierung ist zudem unverhältnismässig in Anbetracht des geringen Nutzens.
Flexibilitäten - zentral für Netzstabilität: Damit die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zentrale Netzstabilität gewährleistet werden kann, braucht es die Beteiligung aller Akteure und Netznutzer. In Situationen mit hoher Netzbelastung kommt der Verfügbarkeit von netzdienlichen Flexibilitäten eine prioritäre Bedeutung gegenüber anderen Nutzungszwecken zu, welche gesetzlich sicherzustellen ist. Dazu gehört die Möglichkeit, in einem eng definierten Rahmen eine Reduktion von Einspeisespitzen vornehmen zu können.
Netztarifierung - Anpassung an die heutige Realität: Die aus alter Zeit stammende Netztarifierung behindert die politisch gewünschte Entwicklung zu mehr Dezentralität. Sie muss an die heutige Realität angepasst werden, um eine verursachergerechte Netzkostentragung sicher zu stellen. Der Leistungsbedarf muss stärker gewichtet werden. Die heutigen gesetzlichen Grundlagen sind dazu grundsätzlich ausreichend, jedoch braucht es eine Anpassung auf Verordnungsstufe. Die vorgeschlagenen rigiden Vorgaben auf Gesetzesstufe sind abzulehnen, da sie der Dynamik und Komplexität des Elektrizitätsmarktes und der Netztarifierung nicht gerecht werden. Dezentrale Märkte und Produkte benötigen dynamische und flexible Tarife.
Sunshine-Regulierung - wenn verhältnismässig und sinnvoll: Die Ergänzung des bestehenden Regulierungsmodells durch die Sunshine-Regulierung zur Erhöhung der Transparenz ist grundsätzlich positiv zu werten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Aufwand für die Verteilnetzbetreiber verhältnismässig ist, die spezifischen strukturellen Verhältnisse der Unternehmen berücksichtigt werden und die Veröffentlichungen einen Mehrwert darstellen.
Auskunftspflicht und Datenweitergabe - auf das Notwendige beschränken: Der VSE lehnt die Ausweitung der Auskunftspflicht gegenüber den Behörden und die Datenweitergabe zwischen Behörden und gegenüber Swissgrid als Marktakteurin ab. Die gesetzliche Auskunftspflicht hat sich auf den Vollzug des Gesetzes zu beschränken. Auf Datenerhebungen ohne konkreten Nutzen für den verfolgten Zweck ist zu verzichten. Die Datenweitergabe im Fall einer Gefährdung des sicheren Übertragungsnetzbetriebs ist bereits sichergestellt.
Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE)
Der VSE ist der Branchendachverband der schweizerischen Stromwirtschaft. Seine Mitglieder produzieren, übertragen, verteilen oder handeln mit Elektrizität. Der VSE tritt für eine sichere, wettbewerbsfähige und nachhaltige Stromversorgung in der Schweiz ein. Der VSE beschäftigt rund 40 Mitarbeitende und vertritt über 400 Branchenmitglieder und Assoziierte Mitglieder mit insgesamt rund 22'000 Mitarbeitenden, die über 90% der Schweizer Stromversorgung gewährleisten.
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