Mercer-Studie zum Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland Renaissance der Supermärkte
München (ots)
- Der Verdrängungswettbewerb im deutschen Lebensmitteleinzelhandel kommt endlich in Bewegung - Das Aldi-Modell stößt an seine Grenzen - Die meisten SB-Warenhäuser gehören zu den großen Verlierern - Edeka und Rewe beleben das Format Supermarkt neu - Der Preis hat aus Verbrauchersicht nach wie vor die größte Bedeutung - Das Sortiment erlebt ein Comeback
Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel zeichnet sich eine neue Phase des Wettbewerbs ab. Im nach wie vor stagnierenden Markt stoßen die dominanten Discountketten immer häufiger an ihre Expansionsgrenzen und die meisten Großflächenbetreiber verlieren zunehmend an Boden. Für Dynamik sorgen die Vollsortimenter. Einzelne Supermärkte und Großflächenbetreiber haben ihre Leistungsdimension - vor allem ihre Sortimente - effektiv weiterentwickelt und gewinnen wieder an Stärke. Vor diesem Hintergrund hat Mercer Management Consulting die Situation des deutschen Lebensmitteleinzelhandels untersucht. Im Auftrag von Mercer führte das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut Innofact im September 2006 eine Befragung von 2.000 Konsumenten durch. Auf dieser Basis analysierte Mercer die Zufriedenheit der Kunden mit Discountern, Großflächenbetreibern und Supermärkten. Dabei zeigt sich unter anderem, dass die Discounter ihre starke Position behaupten konnten, einzelne Supermärkte jedoch dabei sind, in der Kundenwahrnehmung den Turnaround zu schaffen. Der Preis bleibt zwar nach wie vor das wichtigste Kriterium der Kundenzufriedenheit, doch nimmt der Stellenwert des Sortiments aus Verbrauchersicht wieder zu. Dies deutet auf eine Trendwende im deutschen Lebensmitteleinzelhandel hin. In Zukunft zählen nicht mehr ausschließlich Billigpreise, vielmehr werden Angebotsauswahl und -qualität zu Schlüsselfaktoren für den Markterfolg.
Seit Jahren stagnieren die Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Mit 136,6 Milliarden Euro erreichte diese wichtige Einzelhandelsbranche 2005 exakt das gleiche Niveau wie 2004. Für das laufende Jahr erwarten Marktexperten nur eine geringfügige Steigerung. Bei anhaltend wachsenden Ladenflächen, zuletzt vor allem getrieben durch die Expansion der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), geht die Flächenproduktivität der Branche weiter zurück. Diese belief sich im Jahr 2005 bei einer Verkaufsfläche von 28,6 Millionen Quadratmetern auf 4.781 Euro nach 4.928 Euro und 27,7 Millionen Quadratmetern im Jahr zuvor.
Neue Wettbewerbsdynamik
Die Dominanz der Discounter ist ungebrochen. Doch die Zeiten des rasanten Wachstums sind vorbei. Mit einem Marktanteil von 40,9 Prozent im Jahr 2005 nähern sich Aldi, Lidl & Co. der Sättigungsgrenze. Durch die nahezu flächendeckende Präsenz der Discounter ist die Möglichkeit, neue Kunden zu gewinnen, auf ein Minimum geschrumpft. Das Format des Harddiscounts mit seiner strengen Fokussierung auf die grundlegenden Artikel des täglichen Bedarfs ist ausgeschöpft. Einige Discounter haben diesen Trend erkannt und definieren ihr Format in Richtung Sortiment, Frische und Service neu. So finden sich bei Aldi inzwischen einige führende Markenartikel, bei Lidl gibt es Health & Beauty-Produkte und Plus bietet Bio-Produkte an.
Im Segment der Vollsortimenter ist in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine neue Wettbewerbsdynamik entstanden. "Einige Supermärkte und Großflächenbetreiber haben begonnen, aktiv um die Vormachtstellung in ihrem Vertriebsformat zu kämpfen und sich gegen die Erosion von Marktanteilen in Richtung Discount zu wehren", so Sirko Siemssen, Handelsexperte bei Mercer Management Consulting. "Dieser Entwicklung haben die meisten Betreiber von SB-Warenhäusern bislang zu wenig entgegenzusetzen." Viele SB-Warenhäuser stehen unter enormem Rentabilitätsdruck, weil sie zugleich auch von den Discountern in die Zange genommen werden.
Angebotsqualität gewinnt an Bedeutung
Die aktuelle Mercer-Studie "Kundenzufriedenheit im deutschen Lebensmitteleinzelhandel" analysiert die Gesamtzufriedenheit der Verbraucher mit Discountern, Großflächenanbietern und Supermärkten, die dafür ausschlaggebenden Treiber sowie die Performance einzelner Anbieter. Darüber hinaus werden Gewinner und Verlierer, erfolgreiche Modelle sowie Handlungsfelder identifiziert. Ausgangspunkt war eine Konsumentenbefragung im September 2006. Das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut Innofact rekrutierte im Auftrag von Mercer aus seinem Consumerpanel meinungsplatz.de, in dem 175.000 Verbraucher registriert sind, bundesweit 2.000 Teilnehmer. Sie wurden online zu ihrem konkreten Kaufverhalten bei den von ihnen frequentierten Anbietern sowie ihrer Zufriedenheit mit Preis und Leistung befragt. Ein wichtiges Ergebnis: Der Discounter Aldi, die Großflächenbetreiber Globus und Kaufland sowie der Supermarkt Edeka sind in puncto Gesamtzufriedenheit mit Abstand die jeweils Besten in ihren Formaten.
Mit einem Anteil von 49 Prozent ist der Faktor Preis nach wie vor der wichtigste Treiber für die Kundenzufriedenheit. "Dies aber macht die Leistungskriterien keineswegs zu Nebenkriegsschauplätzen", betont Hilmar Hübers, Mercer-Berater und Mitautor der Studie. "Gerade auf Qualität wird zunehmend mehr Wert gelegt." Tatsächlich messen die befragten Konsumenten dem Faktor Sortiment, sprich: Qualität und Auswahl, mit 38 Prozent einen weitaus höheren Stellenwert bei als noch vor zwei Jahren. Darüber hinaus zeigt die Konsumentenforschung, dass für die Preiszufriedenheit sämtliche Preisarten wichtig sind, die Normalpreise aber die größte Bedeutung haben. So hat beispielsweise Kaiser's Tengelmann ein im Wettbewerbsvergleich eher schlechtes Preisimage, weil die befragten Konsumenten vor allem mit den Normalpreisen unzufrieden sind.
Aldi erreicht die Wachstumsgrenze
Die Aussagen der Konsumenten zum Preis- und Leistungsangebot der einzelnen Anbieter von Lebensmitteln hat Mercer in einer Matrix abgebildet. Die Analyse zeigt ein eindeutiges Bild: Die Discounter dominieren nach wie vor das Preisimage, die Großfläche punktet beim Leistungsimage. Die meisten Supermärkte haben in beiden Dimensionen noch immer das Nachsehen, konnten aber den Abstand zu Discountern und Großflächen in den vergangenen zwei Jahren verringern. In allen drei Gruppen gibt es aus Kundensicht klare Gewinner und Verlierer.
Bei den Discountern führt Aldi zwar nach wie vor unangefochten, doch seinen Spitzenplatz hält der Harddiscounter ausschließlich über das gute Preisimage. Bei der Leistungszufriedenheit stagniert das Unternehmen aus Kundensicht und beginnt hinter andere Discountformate, vor allem hinter Lidl, zurückzufallen. Darüber hinaus hat Aldi in Deutschland kaum noch Expansionsspielraum und realisiert im Gegensatz zu anderen Discountern kein Umsatzwachstum mehr. "Das Modell des Harddiscounters wirkt ausgereizt", kommentiert Mercer-Berater Siemssen. "Sich allein auf den Preis zu verlassen wird in Zukunft nicht mehr ausreichen. Ähnlich wie Schlecker, der einst unumstrittene Marktführer im Drogeriesortiment, läuft vor allem Aldi Nord Gefahr, den Wechsel von rasanter Expansion hin zu systematischer Weiterentwicklung des Formats nicht zu schaffen."
Kontrahent Lidl, der frühzeitig auch auf Markenprodukte setzte und dort Preisführer ist, entwickelt sich durch die Einführung neuer Warengruppen und die zunehmende Vertiefung von Sortimenten hin zum Vollsortimenter. Aus Konsumentensicht erreicht er dadurch deutliche Fortschritte in der Leistungszufriedenheit. Dies allerdings geht zu Lasten der Preiszufriedenheit. "Lidl lotet sehr aggressiv die Grenzen des Formats aus, muss aber darauf achten, dass die steigende Komplexität dem Discountermodell mit seinen Stärken Effizienz und Kostenführerschaft nicht die Grundlage entzieht", so Mercer-Berater Hübers.
SB-Warenhäuser unter Druck
Die Marktanteilsverschiebung hin zu Discountern und die neue Dynamik im Vollsortimentersegment setzen die SB-Warenhäuser zunehmend unter Handlungsdruck. Dass dieser im Ausland dominante Vertriebskanal - Erfolgsbeispiele sind Tesco, ASDA oder Carrefour - auch in Deutschland funktionieren kann, zeigt die Kundenbewertung von Globus und dem Verbrauchermarktbetreiber Kaufland. Beide haben sehr unterschiedliche Erfolgsmodelle entwickelt, setzen Benchmarks und müssen sich damit auch nicht vor den Discountern fürchten. Globus hat aus Kundensicht seine Stärken vor allem bei der Sortimentskompetenz, dem Einkaufserlebnis, der Freundlichkeit der Mitarbeiter, dem Service und der Kundenorientierung. Bei Kaufland stechen ein sehr gutes Preisimage - auf Augenhöhe mit den Discountern - und die Preisglaubwürdigkeit heraus. Hinzu kommt die gute Übersichtlichkeit von Filialen und Sortiment, die ein schnelles, effizientes Einkaufen erlaubt.
Der bei der Kundenzufriedenheit drittplatzierte Marktkauf weist aus Sicht der befragten Konsumenten klare Defizite beim Preis auf, hat sich aber in den vergangenen Jahren auf der Leistungsachse deutlich verbessert. Allerdings muss Marktkauf beim Preisimage nachhaltig zulegen. Unter Druck steht auch die Metro-Tochter Real. In der Kundenwahrnehmung liegt Real bei Preis- und Leistungszufriedenheit im Vergleich der SB-Warenhäuser unter dem Durchschnitt. Der Zusammenschluss mit den deutschen Wal-Mart-Standorten bietet jedoch dem neu kombinierten Unternehmen die Chance, mit dem Schwung der Integration und der gestiegenen Marktbedeutung das Geschäftsmodell und das Angebot für die Kunden aktiv weiterzuentwickeln.
Supermärkte besinnen sich auf ihre Stärken
Bei einzelnen Supermärkten herrscht Aufbruchstimmung. Vor allem Edeka und Rewe besinnen sich auf ihren Heimatmarkt und entwickeln das Angebot mit Blick auf den Konsumenten und mithilfe hoher Investitionen weiter. Durch die gezielte Nutzung ihrer Stärken schaffen sie in der Kundenwahrnehmung zunehmend den Turnaround. Dabei setzen sie vor allem auf aktive Sortimentsentwicklung, Kundennähe und auf eine konsequente Preispolitik. Insbesondere auf der Leistungsachse haben Edeka und Rewe damit eine deutliche Verbesserung der Kundenzufriedenheit erreicht. Edeka nimmt dabei den absoluten Spitzenplatz ein. Aus Sicht der Konsumenten liegt Edeka sowohl beim Preis als auch bei der Leistung deutlich über dem Durchschnitt und greift mittlerweile etablierte Großflächenanbieter an, die mehr Auswahl und ein besseres Preisimage haben. Fortschritte in der Bewertung zeigt auch Rewe. Allerdings hat der Lebensmittelhändler aus Kundensicht noch deutlich Nachholbedarf beim Preis und vor allem bei der Sortimentsauswahl.
Trotz Umsatz- und Rentabilitätsdruck sind beide Unternehmen auf einem guten Weg, ein Format wiederzubeleben, das noch vor zwei Jahren den Kampf um den Kunden verloren hatte und totgesagt wurde. Sie benötigen einen langen Atem, um den Wandel der Kundenwahrnehmung auch in mehr Umsatz und Ertrag zu überführen. Die neue Dynamik, die Edeka und Rewe an den Tag legen, müssen sie mit Nachdruck und hohen Investitionen in ihre Sortimente und Preise fortsetzen. Nur so können sie beim Preisimage zu den Discountern aufschließen und beim Leistungsimage mit den besten SB-Warenhäusern auf Augenhöhe kommen. Gleichzeitig können sie dann direkte Wettbewerber in Schach halten. Kaiser's Tengelmann beispielsweise hat inzwischen ebenfalls damit begonnen, seine Verkaufsstellen umzugestalten und eine neue, offenbar erfolgreich getestete Formatanpassung vorzunehmen.
Trendwende in Sicht
Mehr als zehn Jahre hat der außergewöhnliche Siegeszug der Discounter in Deutschland angehalten. Mit ihren auf Dauerniedrigpreise ausgerichteten Geschäftsmodellen haben sie die Vollsortimenter regelrecht überrollt. Nun ist das Ende, zumindest der Harddiscount-Ära, in Sicht. Aldi, Lidl & Co. werden zwar weiterhin den Markt dominieren, da Deutschland eine Nation von Schnäppchenjägern ist und der Preis immer ein wichtiges Thema bleiben wird. Weiteres Wachstum aber erzielen die Discounter nur noch über die Entwicklung ihrer Sortimente. Genau hier liegt die Stärke der Vollsortimenter. "Die Supermärkte könnten jetzt eine Renaissance erleben, wenn sie ihren Kompetenzvorsprung beim Sortiment konsequent nutzen", so Handelsexperte Siemssen. "Das Gebot der Stunde ist, Auswahl und Qualität des Sortimentsangebots gezielt zu verbessern, das Einkaufserlebnis für den Kunden weiter zu steigern und das Sortiment effizient auf lokale Nachfrageunterschiede auszurichten - und dabei das Preisimage nicht aus den Augen zu verlieren."
Mercer-Thesen zum deutschen Lebensmitteleinzelhandel
1. Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel stagniert. Die Flächenproduktivität geht weiter zurück. Der Verdrängungswettbewerb spitzt sich zu.
2. Das Aldi-Modell stößt an seine Wachstumsgrenzen. Lidl lotet aggressiv die Grenzen des Discount-Formats aus und entwickelt sich zunehmend zum Vollsortimenter.
3. Die SB-Warenhäuser sind mit wenigen Ausnahmen die Verlierer der letzten Jahre. Sie haben den Leistungsverbesserungen der Supermärkte und Discounter zu wenig entgegengesetzt.
4. Edeka und Rewe haben die Initiative ergriffen. In der Kundenwahrnehmung zeichnet sich bereits ein Turnaround ab. Jetzt müssen sie zeigen, dass diese Wende auch in überdurchschnittlichen Umsatz und Ertrag münden kann. Dazu benötigen sie einen langen Atem.
5. In Zukunft kann es zu einer Renaissance der Supermärkte kommen. Voraussetzung ist, dass sie ihren Kompetenzvorsprung bei Angebotsauswahl und -qualität gezielt nutzen und dabei den wichtigen Preisfaktor nicht aus den Augen verlieren.
Die Mercer-Studie "Kundenzufriedenheit im deutschen Lebensmitteleinzelhandel"
Im September 2006 führte die Innofact AG im Auftrag von Mercer Management Consulting eine bundesweite Online-Befragung von 2.000 Konsumenten durch. Die in der Umfrage generierten Aussagen zum Leistungs- und Preisangebot von Lebensmittelanbietern analysierte Mercer mit seiner Methodik "Customer Benefit Ratio". Durch Faktoranalysen und Regressionen ergeben sich für jedes Unternehmen exakte Werte für Leistungs- und Preiszufriedenheit. So setzt sich die Leistungszufriedenheit aus der Zufriedenheit mit dem Sortiment, der Qualität, den Mitarbeitern, dem Service und dem Ambiente am Point of Sale zusammen. Auch die Preiszufriedenheit fasst mehrere Treiber zusammen, wie die normalen Dauerpreise, Werbepreise und die Preise für das Preiseinstiegssortiment. Die Ergebnisse sind in Form einer Matrix abgebildet. Die grafische Darstellung verdeutlicht, wie Kunden ein Unternehmen im Vergleich zum Wettbewerb sehen. Daraus lassen sich klare Prioritäten ableiten und die strategische Richtung exakt bestimmen.
Die INNOFACT AG (www.innofact.com) ist ein Fullservice-Marktforschungsinstitut aus Düsseldorf und verbindet die bewährten Methoden der klassischen Marktforschung mit hohem methodischen Know-how und den innovativen Möglichkeiten des Onlineresearch. Das Unternehmen realisiert Marktforschungsstudien für Kunden aus unterschiedlichsten Branchen. Die Kompetenzschwerpunkte liegen in den Bereichen Markenartikel, Handel, Telekommunikation, Pharma/Health und Medien/Verlage.
Mercer Management Consulting, eine der führenden internationalen Unternehmensberatungen mit 190 Büros in 40 Ländern, ist Teil des Beratungszweigs von Marsh & McLennan Companies. Weltweit erwirtschaften 15.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 3,6 Milliarden US-Dollar. Die Büros in München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Hannover und Zürich tragen mit 545 Mitarbeitern zu diesem Erfolg bei.
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