Die Glaskugel bleibt trübe, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Same procedure as every year: Wenige Wochen vor dem Ultimo beginnen viele Marktteilnehmer damit, die Engagements in ihren Büchern zurückzufahren, um die im laufenden Jahr - hoffentlich - eingefahrenen Gewinne abzusichern. Während die Marktaktivitäten somit allmählich abebben, beschäftigen sich die Akteure mit zunehmender Intensität mit den Aussichten für das kommende Jahr und den damit verbundenen anlagestrategischen Implikationen. Doch das ist derzeit ein deutlich schwierigeres Geschäft, als es üblicherweise ohnehin schon ist. Allen Anstrengungen der Prognostiker zum Trotz: Die Glaskugel gibt derzeit kaum etwas her, sondern bleibt trübe.
Vielfältige Gründe machen Prognostikern und Anlegern zurzeit das Leben schwer. Durch die Krise(n) seit dem Jahr 2007 hat sich die bereits deutlich gestiegene Volatilität der Märkte und der realwirtschaftlichen Entwicklung noch zusätzlich erhöht. Hinzu kommt als Verstärker der Unkalkulierbarkeit eine weitere Krisenfolge: die mittlerweile als Marktfaktor dominierende Rolle von Politik und Notenbanken. Ein Beispiel dafür war im zurückliegenden Sommer die überraschende Ankündigung unbegrenzter Anleihekäufe durch den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischte und eine kräftige Rally an den Aktienmärkten auslöste. Zuletzt sorgte Japans Oppositionsführer und Premierministerkandidat Shinzo Abe mit seiner Forderung einer noch lockereren Geldpolitik für starken Druck auf den Yen sowie steigende Aktienkurse in Tokio.
Kaum kalkulierbare Faktoren
Auch das Jahr 2013 wird unter dem Eindruck für Marktteilnehmer kaum kalkulierbarer politischer Faktoren beziehungsweise Risiken stehen. Im Vordergrund steht zunächst die in den USA drohende Fiskalklippe. Kommt eine Einigung zwischen Demokraten und Republikanern zustande, werden Risiko-Assets davon profitieren. Gelingt aber kein Kompromiss, werden automatische Ausgabensenkungen und Steueranhebungen im Umfang von 600 Mrd. Dollar die USA in eine Rezession stürzen - mit entsprechend negativen Folgen für Risiko-Assets. Aber auch in Falle eines Kompromisses werden die vereinbarten Konsolidierungsmaßnahmen mittelfristig ihren Tribut fordern.
Unwägbarkeiten birgt zudem die europäische Schuldenkrise. Durch die avisierten Stützungskäufe von Anleihen bedrängter südeuropäischer Staaten ist sie zwar entschärft worden. Sie kann jedoch jederzeit wieder an Virulenz gewinnen, wenn etwa die Proteste gegen die Sparmaßnahmen in den Peripheriestaaten so extreme Ausmaße annehmen, dass Konsolidierungsmaßnahmen unter dem Druck der Straße abgemildert werden, oder wenn die Italiener bei den Wahlen im April gegen den Konsolidierungskurs votieren.
Nach den Zinsen befragt, gewährt die Glaskugel indessen klare Sicht. Anleger und Marktbeobachter können sich darauf verlassen, dass die Zinsen 2013 und wahrscheinlich noch darüber hinaus auf sehr niedrigem Niveau verharren werden. In einigen Fällen - wie etwa den Leitzinsen in der Eurozone und in China - werden sie noch weiter sinken. Darüber hinaus werden die Notenbanken, allen voran die amerikanische Fed, die Märkte weiterhin mit Liquidität fluten, und im Falle Japans werden die Schleusen möglicherweise in absehbarer Zeit noch weiter geöffnet. Gegen eine solche Entwicklung kann man sich nicht stemmen. Investoren werden angesichts des bei null verharrenden risikolosen Zinses weiterhin keine andere Wahl haben, als verstärkt zu Risiko-Assets wie Aktien und Spread-Produkten zu greifen. Immerhin gibt es aber auch erste ermutigende realwirtschaftliche Signale. In China haben die Konjunkturdaten nach oben gedreht, eine Entwicklung, die nach dem Führungswechsel durch Ankurbelungsmaßnahmen der Regierung verstetigt werden könnte. Ferner haben sich die Daten aus den USA, insbesondere auch den Häusermarkt betreffend, etwas verbessert.
Niedrige Zinsen und hohe Liquidität bleiben aber einstweilen die Hauptantriebskräfte der Risiko-Assets, während sich die "besseren" Antriebskräfte wie Konjunktur und Unternehmensgewinne weiterhin in einem fragilen Zustand bzw. teilweise noch im Abwärtstrend befinden. Die Anleger kommen angesichts des Niedrizinsumfelds zwar nicht umhin, ihre Portfolien mit Risiko-Assets anzureichern. Aufgrund der Unwägbarkeiten und Rückschlaggefahren sollten sie sich aber dem Umfeld anpassen und ebenfalls "volatiler" werden, d.h. flexibel und bereit sein, gegebenenfalls schnell die Reißleine ziehen und Risiko-Assets wieder abstoßen.
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