Schweizer Presserat - Conseil suisse de la presse - Consiglio svizzero della stampa
Media Service: Schweizer Presserat
Stellungnahme 58/2010
(www.presserat.ch/28530.htm)
«Fall Hirschmann»
Un document
Interlaken (ots)
- Hinweis: Hintergrundinformationen können kostenlos im pdf-Format unter http://presseportal.ch/de/pm/100018292 heruntergeladen werden -
Thema: Privatsphäre / Unschuldsvermutung / Verbreitung von Gerüchten / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Medienhypes
Zusammenfassung
Presserat appelliert an Augenmass der Journalist/innen
Zum Medienhype rund um den «Fall Hirschmann»
Der Journalistenkodex liefert keine Patentrezepte, um unerwünschte Auswüchse der Medienfreiheit wie den Medienhype rund um den «Fall Hirschmann» zu verhindern. Der Presserat appelliert jedoch an die Medienschaffenden, die berufsethischen Regeln gerade auch bei solchen Medienhypes zu beachten und bei redaktionellen Entscheiden auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die eine Lawine von Medienberichten für die davon Betroffenen hat.
Nach der Verhaftung von Carl Hirschmann, Betreiber des Zürcher Nachtclubs St Germain, überschlugen sich Ende 2009 und Anfang 2010 die Medienberichte während Wochen. Carl Hirschmann wandte sich daraufhin mit einer Beschwerde an den Presserat, die sich vornehmlich gegen die Ringier-Medien richtete. Diese seien nach seiner Wahrnehmung die treibenden Kräfte in der «medialen Exekution» gewesen seien. Der Presserat beurteilt in seiner Stellungnahme nicht einzelne Medienberichte (von mehreren hundert), sondern beschränkt sich auf Erwägungen zu den wichtigsten Grundsatzfragen.
So dürften Medien über Boulevardprominente auch in weniger angenehmem Zusammenhang identifizierend berichten, sofern ein Zusammenhang mit dem Grund der Prominenz und dem Gegenstand der Berichterstattung besteht. Ebenso verstosse eine massive Medienberichterstattung über ein hängiges Strafverfahren nicht gegen die Unschuldsvermutung, sofern die einzelnen Berichte darauf hinweisen, dass noch keine rechtkräftige Verurteilung erfolgt ist und sofern eine von der veröffentlichten Meinung unabhängige richterliche Beurteilung nach wie vor gewährleistet erscheint.
Hingegen sollten sich Redaktionen bei Recherchen über Strafverfahren nicht dazu verleiten lassen, blosse Gerüchte und Verdächtigungen ungeprüft zu veröffentlichen, um so möglichst täglich Neuigkeiten über einen «Fall» bringen zu können. Zudem erinnert der Presserat daran, dass Medienschaffende bei Personen in Untersuchungshaft vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe verpflichtet sind, einen allfälligen Vertreter zu kontaktieren und dessen Stellungnahme einzuholen. Ist weder der Betroffene noch ein Vertreter für eine Stellungnahme erreichbar, ist dies im Medienbericht ausdrücklich zu vermerken.
Und auch wenn die einzelnen Journalist/innen und Redaktionen nicht für die Gesamtwirkung eines Medienhypes verantwortlich sind, sollten sie von ihrem Ermessen bei der Auswahl der zu veröffentlichenden Informationen in verantwortlicher Weise Gebrauch machen. Bei ihrer Abwägung sollten sie auch die Wirkung berücksichtigen, welche eine Lawine von Medienberichten für die davon Betroffenen hat - ganz zu schweigen von der Verdrängung relevanter Themen.
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