Schweizer Presserat - Conseil suisse de la presse - Consiglio svizzero della stampa
Media Service: Schweizer Presserat: Arzt im Mediengewitter: Den Kritisierten anhören (Stellungnahme 12/2014 Bettschart c. «Le Nouvelliste»)
Un document
Bern (ots)
Darf eine Zeitung darauf verzichten, eine Person zu Wort kommen zu lassen, gegen die sie schwere Anschuldigungen erhebt? Nein, meint der Presserat. Selbst wenn sie deren Vorgesetzte befragt hat und einige Wochen nach den Artikeln über die Stellungnahme dieser Person bei einer Pressekonferenz berichtete, kann sie nicht darauf verzichten. Das Gebot der Anhörung bei schweren Vorwürfen ist in jedem Fall zu respektieren.
Im August 2013 publizierte die Walliser Zeitung «Le Nouvelliste» zwei kritische Artikel über Vincent Bettschart, Arzt am Spital Sion. Darin berichtete sie über den Tod mehrerer Patienten nach Operationen von Bettschart. Die Informationen für den ersten Artikel stammten aus dem Satireblatt «Vigousse». Im zweiten Artikel berichtete «Le Nouvelliste» über einen neuen Todesfall nach einer Operation und zitiert im Wesentlichen anonyme Quellen. Bettschart gelangte an den Schweizer Presserat. Er sah mehrere Prinzipien des Journalistenkodex verletzt: die Wahrheitspflicht, Quellenbearbeitung, Anhörung bei schweren Vorwürfen und die Unschuldsvermutung.
Der Presserat hält in seinem Entscheid fest, dass «Le Nouvelliste» die verfügbaren Informationen korrekt behandelt hat, indem er versuchte, diese zu überprüfen. Anonyme Quellen zu nennen war angesichts des zerrütteten Klimas innerhalb des Gesundheitsnetzes Wallis, dessen jüngste Geschichte von Vorfällen und Skandalen geprägt ist, gerechtfertigt. Der Presserat erinnert daran, dass eine Zeitung nicht verpflichtet ist, die ganze Vorgeschichte einer Affäre, die regelmässig von sich reden macht, zu wiederholen. Sie darf auch den Namen einer bekannten Persönlichkeit wie Vincent Bettschart nennen. Denn der Arzt war ja Thema des Artikels. Hingegen hätte «Le Nouvelliste» den Beschwerdeführer zu den schweren Vorwürfen anhören müssen oder dies zumindest versuchen. Die Redaktion kann sich weder darauf berufen, sie habe den Präsidenten des Verwaltungsrats und die zuständige Regierungsrätin befragt, noch darauf, sie habe Bettschart einige Wochen darauf zu Wort kommen lassen.
Kontakt:
Schweizer Presserat
Conseil suisse de la presse
Consiglio svizzero della stampa
Ursina Wey
Geschäftsführerin/Directrice
Fürsprecherin
Effingerstrasse 4a
3011 Bern
+41 (0)33 823 12 62
info@presserat.ch
www.presserat.ch