Kindesmissbrauch in Europa: Opfergruppen starten Initiative zur Aufarbeitung der europäischen Missbrauchsfälle
Bern, Schweiz (ots)
Bei einem internationalen Treffen in der Schweiz haben Opfergruppen aus ganz Europa die grossangelegte "Justice Initiative" lanciert. Mit dieser politischen Initiative soll erstmals in allen Ländern Europas der Missbrauch an Kindern, wie er insbesondere auch in staatlichen und kirchlichen Institutionen stattgefunden hat, umfassend aufgearbeitet werden. Eine Motion, welche die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auf die gesamteuropäische Ebene bringt, wird im September im Europarat in Strassburg eingereicht. Getragen wird die europäische Initiative von der Guido Fluri Stiftung, die in der Schweiz bereits mit der "Wiedergutmachungsinitiative" erfolgreich war und die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erreicht hat.
Europa hat den Schutz der Kinder über Jahrzehnte verletzt: Hunderttausende Kinder und Jugendliche wurden Opfer von Ausbeutung, Misshandlungen und sexuellem Missbrauch. Vor allem auch in staatlichen oder kirchlich geführten Institutionen kam es zu schwersten Übergriffen. In verschiedenen europäischen Ländern kam es bis vor wenigen Jahren zu Kindswegnahmen, Zwangsadoptionen, Sterilisationen und Medikamentenversuchen an Kindern und Jugendlichen. Die staatlichen Behörden waren in vielen Fällen mitverantwortlich für das erlittene Leid, oder aber sie haben die Kinder vor den Übergriffen nicht geschützt. Bis heute wurden diese Missbrauchsfälle in den meisten Ländern Europas nicht aufgearbeitet. Dies soll sich nun ändern. Aus ganz Europa sind hierzu Opfergruppen, aber auch Akademiker:innen und NGOs, zur Lancierung der "Justice Initiative" in die Schweiz gereist. Diese politische Initiative lenkt die kollektive Wahrnehmung auf ein verdrängtes Stück Geschichte sowie auf die Opfer, die bis heute aufgrund des Missbrauchs und der fehlenden öffentlichen Anerkennung schwer leiden.
Fast 20 europäische Länder zur Lancierung am Symposium vertreten
Die "Justice Initiative" wird von Opfergruppen, Akademiker:innen und NGOs aus allen Teilen Europas unterstützt. In einer gemeinsamen Erklärung wird die öffentliche Anerkennung des Unrechts, die Wiedergutmachung sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung ins Zentrum gerückt: www.justice-initiative.eu
"Diese Initiative ist für die Missbrauchsopfer in ihrem Streben nach Gerechtigkeit von wesentlicher Bedeutung", betont etwa Dr. Mary Lodato, Aktivistin aus England. Das Schweigen über den Missbrauch müsse endlich gebrochen werden, sagt Prof. Dr. Darja Zavirsek, Inhaberin des Lehrstuhls für soziale Gerechtigkeit und Inklusion der Universität Ljubljana. Und Natascha Smertnig, Geschäftsführerin WEISSER RING Österreich, wo die Aufarbeitung wie in der Schweiz weiter ist, ergänzt: "Es ist sehr erfreulich, dass wir nun auch auf europäischer Ebene gemeinsam aktiv werden".
Motion soll innert 2 Wochen beim Europarat eingereicht werden
"Diese Initiative ist für Europa zentral", sagt auch der Präsident der Schweizer Delegation beim Europarat, Nationalrat Pierre-Alain Fridez. "Nur wenn wir die Vergangenheit aufarbeiten, können wir die Zukunft bauen". Aus diesem Grund wird er in den kommenden Tagen in Strassburg eine Motion einreichen, welche die grundlegenden Forderungen der Initiative beinhaltet und zu einer umfassenden Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels führen soll. Er sei überzeugt, dass der Vorstoss eine überwältigende Mehrheit finden werde, so der Europapolitiker.
Schweiz als Vorbild für europäische Aufarbeitung
"Die Zeit für eine Wiedergutmachung eilt", erklärt Initiant Guido Fluri, der mit seiner renommierten Stiftung die europäische Initiative mitträgt und für sein Engagement in Sachen Kinderschutz den
Ehrendoktortitel der Universität Luzern erhalten hat. "Die meisten Opfer sind inzwischen alt und gebrechlich. Sie sollen noch zu Lebzeiten erleben, wie in ganz Europa das Unrecht anerkannt und aufgearbeitet wird". In der Schweiz hat die Guido Fluri Stiftung gemeinsam mit Opfergruppen die "Wiedergutmachungsinitiative" zum Erfolg gebracht: Über 10'000 Opfer, die schwersten Missbrauch erlitten hatten, haben eine Wiedergutmachung erhalten. Die Schweiz arbeitet die Missbrauchsfälle wissenschaftlich auf und unterstützt die Betroffenen auch künftig mit verschiedenen Projekten. Aufgrund der Schweizer Erfahrung und positiver Lösungen in anderen Ländern sind Opfergruppen aus ganz Europa zusammengekommen, um diesen politischen Weg auch auf europäischer Ebene zu gehen. Die "Justice Initiative" ist Ausdruck dieses Bestrebens. Durch die Aufarbeitung der Vergangenheit soll der Kinderschutz in Europa langfristig gestärkt werden.
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