Eidg. Justiz und Polizei Departement (EJPD)
EJPD: Behindertengleichstellungsgesetz kann in Kraft gesetzt werden Referendumsfrist unbenutzt abgelaufen
Bern (ots)
04.04.2003 Das Parlament hat am 13. Dezember 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet. Am 3. April 2003 ist die Referendumsfrist unbenutzt abgelaufen. Der Bundesrat beabsichtigt, das Gesetz auf den 1. Januar 2004 in Kraft zu setzen. Dieses stellt einen indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" dar, über die am 18. Mai 2003 abgestimmt wird.
Wesentliche Fortschritte dank Behindertengleichstellungsgesetz Das Behindertengleichstellungsgesetz wird den rund 700'000 Menschen mit Behinderungen in der Schweiz die Integration in der Gesellschaft in zahlreichen Punkten wesentlich erleichtern. Viele der Massnahmen bringen im Übrigen nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch andern Teilen der Bevölkerung, etwa Personen mit Kleinkindern im Kinderwagen sowie älteren Personen, Vorteile. Das neue Gesetz erfüllt einen grossen Teil der Anliegen der Initiative "Gleiche Rechte für Behinderte". Es setzt die Instrumente aber differenzierter und ausgewogener ein und beachtet auch die ebenfalls schützenswerten Interessen der Grundeigentümer und der Anbieter von Dienstleistungen. Deshalb empfehlen Parlament und Bundesrat Volk und Ständen, die Initiative abzulehnen.
Verbesserungen im öffentlichen Verkehr
Im öffentlichen Verkehr wird das Behindertengleichstellungsgesetz eine lückenlose Transportkette auch für Menschen mit Behinderungen herbeiführen. Die Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs sind verpflichtet, ihre Dienstleistungen kontinuierlich anzupassen und die Kommunikationsanlagen und den Billettbezug spätestens in zehn Jahren, Bauten, Anlagen und Fahrzeuge spätestens in zwanzig Jahren vollständig auf die Bedürfnisse der Behinderten auszurichten. Gestützt auf Umsetzungskonzepte, deren Realisierung sofort beginnen wird, werden Bund und Kantone Finanzhilfen ausrichten, um diese Anpassungen zu beschleunigen. Allein der Bund wird dafür 300 Millionen Franken zur Verfügung stellen.
Erleichterter Zugang zu Bauten und Anlagen
Der Zugang zu Bauten und Anlagen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, muss im Falle eines Neubaus oder einer Erneuerung auf die Bedürfnisse der Behinderten ausgerichtet oder angepasst werden. Wird diese Pflicht vom Grundeigentümer nicht eingehalten, kann eine behinderte Person oder eine anerkannte Behindertenorganisation mittels Beschwerde oder Klage entsprechende Massnahmen durchsetzen. Ein solches Zugangsrecht gilt auch für Wohnbauten mit mehr als acht Wohneinheiten und für Bauten mit mehr als 50 Arbeitsplätzen. In diesem Punkt geht das Gesetz sogar weiter als die Initiative. Die Verfahren sind im Übrigen grundsätzlich unentgeltlich. Angepasste Dienstleistungen der Gemeinwesen Der Bund, die Kantone und Gemeinden werden neu verpflichtet, sämtliche Dienstleistungen so anzubieten, dass sie auch von Menschen mit Behinderungen ohne Benachteiligung in Anspruch genommen werden können. So müssen beispielsweise Schriftstücke oder Internetangebote in einer für Sehbehinderte zugänglichen Form zur Verfügung stehen. Die Kantone haben auch dafür zu sorgen, dass die Schulung behinderter Kinder und Jugendlicher auf deren besondere Bedürfnisse zugeschnitten ist. Wie beim Zugangsrecht bei Bauten und Anlagen besteht auch hier die Möglichkeit für Behinderte und Behindertenorganisationen, dieses Recht mittels Beschwerde oder Klage durchzusetzen.
Verhältnismässigkeit gewahrt
Das Recht auf Zugang zu Bauten und Anlagen sowie das Recht, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, kann nur so weit durchgesetzt werden, als nicht der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt wird. Im Konfliktfall muss eine Interessenabwägung vorgenommen und geprüft werden, ob der erwartete Nutzen für Behinderte höher zu gewichten ist als der wirtschaftliche Aufwand, die Interessen des Natur- und Heimatschutzes oder die Verkehrs- und Betriebssicherheit. Anders als die Initiative überlässt das Gesetz die Beurteilung der Verhältnismässigkeit bzw. der wirtschaftlichen Tragbarkeit nicht allein dem Richter. Es bestimmt, dass Grundeigentümer bei der Erneuerung von Bauten nur zu Anpassungen bis zu 20 Prozent der Erneuerungskosten oder 5 Prozent des Gebäudeversicherungswertes verpflichtet sind.
Keine Diskriminierung durch Private
Das Behindertengleichstellungsgesetz verlangt im Unterschied zur Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" nicht, dass auch Private besondere Massnahmen ergreifen müssen, um ihre Dienstleistungen auf die Bedürfnisse Behinderter auszurichten. Verboten ist hingegen jede Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen durch Private, also beispielsweise die generelle Verweigerung einer Dienstleistung für Behinderte. Bei Diskriminierung können Behinderte und Behindertenorganisationen eine Entschädigung verlangen. Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen Der Bund wird ein Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen einrichten, das seine Tätigkeit mit Inkrafttreten des Gesetzes aufnehmen wird. Das Büro fördert insbesondere die Information über die Belange der Menschen mit Behinderungen, initiiert oder unterstützt Programme und Informationskampagnen, koordiniert die Tätigkeiten der verschiedenen auf diesem Gebiete tätigen privaten und öffentlichen Einrichtungen und analysiert regelmässig die getroffenen Massnahmen auf ihre Wirksamkeit.
Weitere Massnahmen
Das Behindertengleichstellungsgesetz ermöglicht dem Bund, Programme zur Integration Behinderter in die Gesellschaft durchzuführen oder zu unterstützen. Der Bund kann auch zeitlich befristete Pilotversuche zur Integration Behinderter im Erwerbsleben, Massnahmen der Kantone für Sprach-, Hör- und Sehbehinderte sowie Massnahmen, die Fernsehsendungen Hör- und Sehbehinderten zugänglicher machen, unterstützen. Ferner wird der Bund als Arbeitgeber auf eine vorbildliche behindertenfreundliche Personalpolitik verpflichtet. Schliesslich werden verschiedene Gesetze besser auf die Bedürfnisse Behinderter ausgerichtet (Fernmeldewesen, Steuerrecht, Bundesstatistik, Berufsbildung, Strassenverkehrsrecht).
Weitere Auskünfte:
Luzius Mader, Vizedirektor, Bundesamt für Justiz, Tel. 031 322 41 02