pafl: Soll die Regierung direkt durch das Volk gewählt werden?
Vaduz (ots)
Vaduz, 31. Mai (pafl) - Die Kommission für die Gleichstellung von Frau und Mann und die Stabsstelle für Chancengleichheit luden im Mai zu einem sehr komplexen Thema ein. Hätte das Volk, wenn es die Regierung direkt wählen könnte, einen grösseren Einfluss auf die Politik? Wären seine Interessen besser vertreten? Wäre die Regierung mehr in der Verantwortung gegenüber der Wählerschaft? Würden bei einer Direktwahl mehr Frauen gewählt werden?
Ein Land zwischen Demokratie und Monarchie
Wilfried Marxer, Politikwissenschafter am Liechtenstein-Institut, zeigte in seinem Referat, wie das politische System Liechtensteins aufgebaut ist. Worin unterscheiden sich politische Systeme mit und ohne Direktwahl der Regierung und in welchen Staaten wird direkt gewählt? Welche Vor- und Nachteile bringt eine Direktwahl? Welche Anforderungen würde das Modell Direktwahl in Liechtenstein auslösen?
Das liechtensteinische System ist sehr komplex, da die einzelnen Organe der Institutionen verfassungsmässig wie auch im Alltag eng verknüpft sind. Die Regierung steht zwischen dem Landtag, der sie wählt, und dem Fürsten, der sie anschliessend ernennt. Sie könnte aber theoretisch von diesen beiden "Vetospielern" auch ohne Begründung entlassen werden. Somit steht die "Exekutiv-Gewalt" der liechtensteinischen Regierung eigentlich auf relativ schwachen Beinen. Eine Direktwahl existiert nur in den Gemeinden, in denen der Vorsteher und die übrigen Mitglieder vom Volk direkt gewählt werden.
Das Volk wiederum hat auf Landes- wie auch Gemeindeebene viele direktdemokratische Rechte. Wie in anderen Kleinstaaten spielen auch in Liechtenstein persönliche Netzwerke und personelle Verflechtungen eine grosse Rolle. Innere Zerwürfnisse können auf diese Weise so weit wie möglich vermieden werden und gegenüber dem Ausland wird weniger Angriffsfläche erzeugt.
Viele Anpassungen notwendig
Die Ausführungen machten eines deutlich: Das Modell der Direktwahl würde in Liechtenstein eine lange Reihe von Anpassungs- und Umsetzungsfragen voraussetzen. Die parlamentarische Regierungsbestellung unter Mitwirkung des Fürsten würde abgelöst und die Regierung als Exekutivorgan mit wesentlich mehr Machtfülle ausgestattet. Alle Kompetenzen und Verfahrenswege, diejenigen des Fürsten, des Fürstenhauses, sämtliche direktdemokratischen Volksrechte wie auch eine Verfassungsgerichtsbarkeit müssten im Vorfeld genauestens abgeklärt werden.
Der Anlass hat klar gemacht: Der Landtag als Legislative würde mit dem Systemwechsel eindeutig an Bedeutung verlieren. Auch ist anzunehmen, dass unter der gegenwärtigen aktiv-politischen Regentschaft des Fürsten ein Systemwechsel derzeit nicht realistisch ist.
Das Referat und die anschliessende Diskussion entliessen die Teilnehmerinnen der Gesprächsrunde mit einer Fülle von Denkanstössen.
Kontakt:
Stabsstelle für Chancengleichheit
Nina Schwarzkopf-Hilti
T +423 236 63 01