Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse
SNF: Schwindende Nacht über dem Alpenraum - Alpine Nachtlandschaften der 1970er Jahre erstmals rekonstruiert
Bern (ots)
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Erstmals vermitteln Bilder einen Eindruck der alpinen Nachlandschaft Ende der 1970er-Jahre. Sie basieren auf Satellitenaufnahmen, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Landschaften und Lebensräume der Alpen" (NFP 48) aufbereitet wurden. Ein Vergleich mit Bildern aus dem Jahr 2000 veranschaulicht die markante Zunahme der nächtlichen Beleuchtung in den Agglomerationen am Alpenrand sowie in bis anhin kaum erhellten Gebirgsräumen.
Die technischen Möglichkeiten, die nächtlichen Lichtquellen im Alpenraum zu erfassen, sind beschränkt. Einzig der Satellit des "Defense Meteorological Satellite Programms (DMSP)", also der Wettersatellit des US-amerikanischen Militärs, zeichnet Daten nachts im sichtbaren Bereich auf. Der DMSP-Satellit überfliegt Europa ein- bis zweimal pro Nacht. Um die durchschnittliche Beleuchtung des Alpenraums darzustellen, hat Katia Maus im Projekt "Fiat Lux!" des Nationalen Forschungsprogramms "Landschaften und Lebensräume der Alpen" die wolkenfreien Nächte bei Neumond herausgesucht und zusammengestellt.
Die Alpennacht der 1970er-Jahre
Allerdings sind erst die seit Beginn der 1990er-Jahre erfassten Daten digital verfügbar. Für die Nächte der 1970er-Jahre liegen die Daten nur in Bildform vor. Deshalb hat Katia Maus diese Bilder digital aufbereitet und damit den Zeithorizont für die Auswertung entsprechender Daten um Jahrzehnte erweitert. So gelingt es, ein Bild der nächtlichen Alpen Ende der 1970er-Jahre zu zeigen, wie es bisher nicht bekannt war. Gleichzeitig ermöglicht dieses Verfahren, auch die Entwicklung der alpinen Nachtlandschaft darzustellen und auszuwerten.
Diese zeigt: Die nächtliche Beleuchtung hat in den letzten beiden Jahrzehnten markant zugenommen. Die grössten Veränderungen sind dabei in den Alpenrandgebieten, besonders in den Verdichtungszonen im Raum Mailand-Po-Ebene oder im schweizerischen Mittelland. Einst einzelne Inseln starker Beleuchtung sind zu ganzen Beleuchtungsteppichen zusammengewachsen. Die besonders stark beleuchteten Flächen haben sich im Zeitraum 1992-2000 verdoppelt. Zudem hat nicht nur die Grösse der beleuchteten Fläche zugenommen, sondern auch deren Intensität. Auch im Innern der Gebirgsräume ist die Nacht heller geworden. Gebiete, die früher nur punktuell oder gar nicht beleuchtet waren, sind im Jahre 2000 zusammenhängend flächenhaft erhellt.
Vom Wahrzeichen des Fortschritts zum Markt für Dunkelheit
In der historischen Analyse des "Fiat Lux!"-Projekts zeichnet Marco Marcacci die Kulturgeschichte der Beleuchtung im Tessin des 20. Jahrhunderts nach und identifiziert dabei die wichtigsten Faktoren, die zur Erhellung der Alpennacht beigetragen haben. Allein die Zahl der Strassenbeleuchtungen hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert verzehnfacht. Sie widerspiegelt zum einen die Motorisierung, die individuelle und kollektive Mobilität und die Ausdehnung der Siedlungen, zum anderen aber auch den Willen, mit der Beleuchtung Wohlstand und Fortschritt sichtbar zu machen. Die kommerzielle Beleuchtung setzte seit den 1940er-Jahren ein und gewann seit 1960 mit intensiv und auffällig beleuchteten Tankstellen schnell an Bedeutung. Jüngeren Datums ist die permanente und integrale Lichtinszenierung von Baudenkmälern wie Kirchen, Burgen, Plätze oder Altstädte sowie von Einkaufszentren und grossen Baustellen. Im Sport- und Freizeitbereich sind es vor allem die Fussball- und Leichtathletikarenen, welche die Nachtbeleuchtung beherrschen. Hier hat vor allem das Fernsehen zur rasanten Entwicklung beigetragen, die seit 1970 mit der Einführung des Farbfernsehens die Anforderungen an die Ausleuchtung der Anlagen kontinuierlich erhöhte. Abend- und Nachtanlässe von Trendsportarten wie Nachtskifahren oder Snowboarden tragen speziell zur Beleuchtung in der alpinen Zone bei.
Marcacci stellt aber auch Hinweise fest, welche die Dunkelheit mehr und mehr als kollektiv förderungswürdige Ressource betrachten. So beobachtet er eine Zunahme von Veranstaltungen und Angeboten - wie etwa das Lokal "Blinde Kuh" an der Landesausstellung 2002 -, die auf die Dunkelheit setzen. Damit verbunden ist nicht nur eine erhöhte Wertschätzung der natürlichen Dunkelheit, sondern auch ein Markt für künstlich verdunkelte Räume.
Informationen zum Projekt:
Am 11. November 2005 sind die Forschenden unter folgender Nummer erreichbar: +41/91/912'47'05
PD Dr. Jon Mathieu Instituto di Storia delle Alpi Università della Svizzera italiana Via Lambertenghi 10 6900 Lugano Tel.: +41/91/912'47'04 E-Mail: mathieu.jon@lu.unisi.ch
Remote Sensing-Aufnahmen Katja Maus Geografisches Institut Universität Bern Hallerstr. 12 3012 Bern Tel.: +41/31/631'85'52 E-Mail: maus@giub.unibe.ch
Historische Analyse Marco Marcacci, lic. in lettere, Istituto di Storia delle Alpi ISAlp Via Lambertenghi 10 6900 Lugano Tel.: +41/91/829'25'72 E-Mail: marco.marcacci@smile.ch
Publikation:
Die Ergebnisse des interdisziplinären Projekts "Fiat Lux!", das nebst den historischen und Remote Sensing-Untersuchungen auch sozialwissenschaftliche und architektonische Studien umfasst, wurden am 10. November 2005 in Buchform veröffentlicht.
Peter Zumthor, Ivan Beer, Jon Mathieu et al.
Wieviel Licht braucht der Mensch, um leben zu können, und wieviel Dunkelheit?/ Di quanta luce ha bisogno l'uomo per vivere e di quanta oscurità? 224 Seiten, Texte dt./ital., zahlreiche Fotografien (farbig und s/w)
CHF 48.- ISBN 3 7281 3038 9 vdf Hochschulverlag AG, Zürich und Editrice Compositori, Bologna
Weitere Informationen: http://www.nfp48.ch/projekte
Situation im Jahr 2000
Ein Bild der alpinen Nachtlandschaft im Jahr 2000 kann heruntergeladen werden unter: http://www.snf.ch/downloads/com_imm_05nov11.jpg
Text und Bild dieser Medieninformation können auf der Nationalfonds-Homepage abgerufen werden http://www.snf.ch/medienmitteilung
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