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Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse

SNF: Wie Beschäftigungsprogramme scheitern - und wie nicht

Bern (ots)

Die Schweiz muss in naher Zukunft mit steigenden
Arbeitslosenzahlen rechnen. Viele Kantone reagieren mit 
Beschäftigungsprogrammen. Deren Wirksamkeit aber ist zweifelhaft. Als
Zwangsmassnahme sind sie kontraproduktiv, vor allem bei jungen 
Erwachsenen. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte 
soziologische Studie zeigt, wie man solche Programme verbessern 
könnte.
Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose (Programme zur 
vorübergehenden Beschäftigung, PvB) werden in der ganzen Schweiz 
durchgeführt. Im Rahmen des dritten Konjunkturpakets des Bundes 
sollen diese weiter gefördert werden. Diese Programme bieten den 
Teilnehmenden eine Tagesstruktur, eine mehr oder weniger sinnvolle 
Tätigkeit und zum Teil die Möglichkeit, ihre Qualifikationen zu 
erweitern. Die Teilnahme ist in der Regel nicht freiwillig, sondern 
wird von einem Amt, meist einem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum
(RAV) oder einem Sozialamt, gefordert. Arbeitslose sollen so leichter
ins Erwerbsleben zurückfinden.
Damit dieses Ziel erreicht wird, müssten Programm und Teilnehmer 
aufeinander abgestimmt sein. Doch das ist längst nicht immer der 
Fall, wie die vom Schweizerischen Nationalfonds und vom Amt für 
Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau unterstützte Studie des 
Soziologen Peter Schallberger (Hochschule für Angewandte 
Wissenschaften St. Gallen) zeigt. In der Vergangenheit stellten 
mehrere Untersuchungen fest, dass Teilnehmer von PvB keine höhere 
Wiederbeschäftigungsquote aufweisen als Arbeitslose ohne PvB. Doch 
diese Untersuchungen greifen zu kurz: Die PvB können laut 
Schallberger ihr Ziel, die Steigerung der Arbeitsmarktfähigkeit der 
Stellensuchenden, sehr wohl erreichen, auch wenn diese - zum Beispiel
aus konjunkturellen Gründen - bei der Stellensuche scheitern.
Kontraproduktiver Zwangscharakter
Peter Schallberger und sein Team untersuchten mittels qualitativer 
Sozialforschung 15 PvB der Kantone Thurgau und St. Gallen; insgesamt 
analysierten sie 40 Interviews, je etwa zur Hälfte mit 
Programmteilnehmenden und Programmverantwortlichen. Dabei zeigte 
sich, dass die PvB in der Praxis - allein im Kanton Thurgau sind rund
1000 Personen eingebunden - teils konträre Ansätze verfolgen. Der von
den Forschenden so genannte Rettungsansatz geht davon aus, dass die 
Teilnehmenden in eine persönliche Krise geraten sind und Hilfe 
brauchen. Sie sollen im PvB vor Verwahrlosung geschützt werden, den 
Glauben an die eigenen Fähigkeiten wieder aufbauen und einen 
Lebenssinn finden. Der Disziplinierungsansatz dagegen geht davon aus,
dass die Teilnehmenden wegen charakterlicher Defizite (z.B. Faulheit)
arbeitslos wurden und zum Missbrauch der Sozialwerke neigen. Sie 
sollen im PvB überwacht und umerzogen werden. In der Realität sind 
die meisten PvB zwischen diesen beiden Polen anzusiedeln.
PvBs sollen die Teilnehmenden ermächtigen, wieder im Erwerbsleben 
Fuss fassen zu können. Ihr Zwangscharakter bewirkt aber oft das 
Gegenteil: Die Teilnehmenden erleben die Zuweisung als staatliches 
Aufgebot. Ihre Autonomie, ihre Selbstachtung und ihre Motivation - im
Hinblick auf den Erfolg am Arbeitsmarkt zentrale Faktoren - werden 
untergraben. Umso wichtiger ist es daher, dass die 
Programmverantwortlichen ein vertrauensbasiertes Kooperationsbündnis 
aufbauen, das die Freiwilligkeit so weit als möglich wieder 
herstellt.
Fragwürdiges Konkurrenzierungsverbot
Entscheidend für den Erfolg eines PvB ist überdies, dass es zum 
Teilnehmenden passt. Ein lebenstüchtiger Mensch profitiert nicht von 
einem Programm, das ihn wie einen Kranken behandelt. Das wirkt 
stigmatisierend. Umgekehrt kann man einer Person, die in einer tiefen
Lebenskrise steckt, nicht helfen, indem man sie zu Routinearbeiten 
zwingt und ihr mit Sanktionen droht. Da die PvB-Teilnehmenden in der 
Regel durch RAV-Berater oder Sozialamt-Mitarbeitende verpflichtet 
werden, sollten diese Beamten über hohe diagnostische Fähigkeiten 
verfügen und die Programme gut kennen. Die Forschenden stiessen 
jedoch gleich auf mehrere Arbeitslose, die offensichtlich in falsche 
Programme geschickt wurden.
In einem wirksamen PvB birgt die Arbeit Sinnstiftungspotentiale. 
Sinn verbinden viele Teilnehmende aber weniger mit einer Arbeit, die 
ihre Fertigkeiten, Qualifikationen oder gar Kreativität 
herausfordert, sondern vielmehr damit, ob ein Produkt entsteht, das 
im gewöhnlichen Wirtschaftsleben nachgefragt wird. Diesem Bedürfnis 
steht aber die Auflage entgegen, dass PvB privatwirtschaftliche 
Unternehmen nicht konkurrenzieren dürfen. Die Forschenden raten 
deshalb, wenigstens innerhalb des Konkurrenzierungsverbots bis an die
Grenzen zu gehen.
PvB sind ungeeignet für junge Erwachsene
Wenig geeignet sind die untersuchten Programme für junge Erwerbslose.
Wenn diese in den Programmen auf sozial randständige Erwachsene 
stossen, wirkt das beim nicht gelingenden Einstieg in den 
Arbeitsmarkt zusätzlich demoralisierend. Auch wird ihnen die Chance 
zu einer nachholenden Anlehre oder Berufsausbildung verbaut. Verfolgt
das PvB überdies den Disziplinierungsansatz, wirkt sich das besonders
verheerend aus: Es provoziert Strategien des offenen oder verdeckten 
Protests oder der Subversion. Für manchen Jugendlichen kann das den 
Beginn einer sogenannten Ämterkarriere bedeuten. Entsprechend 
empfehlen die Forschenden den Ausbau von spezifischen 
Arbeitsintegrationsmassnahmen für junge Erwerbslose.
Die Studie «Ermächtigung oder Entmutigung? Eine fallrekonstruktive
Untersuchung von Programmen zur vorübergehenden Beschäftigung (PvB)» 
sowie der Text dieser Medienmitteilung stehen auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung:
www.snf.ch > Medien > Medienmitteilungen

Kontakt:

Prof. Dr. Peter Schallberger
FHS St. Gallen
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Institut für Soziale Arbeit
Industriestrasse 35
CH-9401 Rorschach
Tel.: + 41 (0)71 844 48 44
E-Mail: peter.schallberger@fhsg.ch

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