Mercer-Studie "Deregulierung in europäischen Breitbandmärkten"
Breitband schafft Wachstum
München (ots)
- Deregulierung der Breitbanddienste könnte 59.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen
- Zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent durch Deregulierung möglich
- Mehrheit der aktuellen volkswirtschaftlichen Studien belegt hohe Kosten durch Netzregulierung für die Gesamtwirtschaft
- Harte Haltung der EU-Kommission droht derzeit, das geplante Regulierungsmoratorium in Deutschland zu gefährden
Die Deregulierung des DSL-Markts könnte Impulse für Wachstum und Beschäftigung geben. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie von Mercer Management Consulting und NERA Economic Consulting "Deregulierung in europäischen Breitbandmärkten - Potenziale einer ökonomisch orientierten Regulierungspraxis". Sie zeigt die enorme gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Breitbandmarkts, der allein in Deutschland 59.000 neue Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum in den nächsten drei Jahren um jeweils 0,2 Prozent steigern könnte. Die Bundesregierung und die deutsche Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, plädieren daher dafür, bei neuen Breitbanddiensten zunächst keine Regulierung einzuführen, um die Marktdynamik nicht zu bremsen. Erst wenn konkrete Erfahrungen mit den Markt- und Wettbewerbsstrukturen dieses neuen Markts vorliegen, soll über einen eventuellen Regulierungsbedarf entschieden werden. Doch die Europäische Union besteht darauf, auch die neuen Breitbandnetze vorab zu regulieren.
Bereits in diesem Jahr wollen einige europäische Telekommunikationsunternehmen mit dem Bau neuer Hochgeschwindigkeitsnetze beginnen. So beabsichtigt die British Telecom (BT), das "21st Century Network" zu errichten. Auch die Deutsche Telekom plant, ihr Netz auf VDSL-Geschwindigkeit auszubauen. VDSL (Very High Speed Digital Subscriber Line) heißt der neue Standard, auf den die Branche setzt. Mit VDSL wird der Internetzugang 25- bis 50-mal schneller als mit der heutigen ADSL-Technik. Zudem erlaubt VDSL deutlich bessere Upload-Kapazitäten. Die hohen Geschwindigkeiten sind nötig für eine Reihe neuer Anwendungen und Dienste wie etwa Onlinevertrieb, Onlinelernen oder internetbasierte Gesundheitsdienste, aber auch für neue Fernsehangebote und Onlinespiele, die bereits ab diesem Jahr sukzessive auf den Markt gebracht werden sollen.
Suche nach dem richtigen Regulierungskonzept
Noch herrscht jedoch Uneinigkeit zwischen Brüssel und Berlin, ob die Netzbetreiber anderen Telekommunikationsunternehmen von Anfang an Zugang zu diesen neuen Netzen gewähren müssen und ob der Preis für diesen Zugang behördlich festgelegt werden muss. Die EU-Kommission möchte das neue Breitbandnetz von Anfang an reguliert wissen, die Bundesregierung dagegen möchte erst abwarten, wie sich der neue Markt entwickelt. Erst wenn nach einigen Jahren "Regulierungsferien" eine Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen erkennbar ist, will die Bundesregierung über eine Regulierung entscheiden.
Die Befürworter einer starken Vorabregulierung gehen davon aus, dass dadurch ein stärkerer Wettbewerb erreicht wird. Mehr Anbieter, so die Theorie, führen zu günstigeren Preisen und damit zu mehr Internetanschlüssen. Dieser Logik folgend müssten in der derzeitigen Regulierungspraxis die Besitzer des Leitungsnetzes, also Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder BT, ihre Netze auch dem Wettbewerb zur Verfügung stellen. Die Schwierigkeit dabei ist jedoch, dass kaum objektiv festzustellen ist, wo der marktgerechte Preis für eine solche Netznutzung durch Wettbewerber liegt. Ist er zu hoch, können die Wettbewerber nicht überleben. Ist er zu niedrig, gibt es keinen wirtschaftlichen Anreiz für den Netzbetreiber, sein Netz auszubauen. Die Gegner einer Vorabregulierung sorgen sich deshalb vor allem um Innovationen und Investitionen, die durch die regulierten Preise verloren gehen könnten. Denn wenn die Netzbesitzer keine Vorteile für Infrastrukturinvestitionen sehen, werden sie diese unterlassen - und das wiederum würde der gesamten Wirtschaft schaden.
An dieser zentralen Streitfrage setzt die Studie von Mercer Management Consulting und NERA Economic Consulting an. Sie fasst die aktuellen volkswirtschaftlichen Diskussionen zur Wirksamkeit der Regulierung von Breitbandnetzen zusammen. Zudem quantifiziert die Studie die Vorteile einer zurückhaltenden Regulierung beispielhaft in vier europäischen Staaten.
Enorme volkswirtschaftliche Bedeutung des Breitbands
In keinem Land gibt es so viele Erfahrungen und so umfangreiche Studien zur Telekommunikationsregulierung wie in den USA. Im Jahr 1996 verpflichtete der Telecommunications Act die lokalen Bell-Telefonunternehmen, ihren Wettbewerbern Netzelemente zu festgelegten Preisen zu überlassen. Eine große Zahl öffentlich zugänglicher Untersuchungen begleitete diesen Versuch, das Netzmonopol zu brechen und den Wettbewerb anzuregen. Die gewonnenen Erfahrungen veranlassten die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) bereits 2001, für die nächste Generation von Glasfaserleitungen auf eine Regulierung zu verzichten. Im Jahr 2005 kündigte die FCC an, die Regulierung von Breitbandverbindungen künftig generell deutlich zurückhaltender zu gestalten.
Allerdings gibt es in vielen Regionen der USA breitbandgeeignete TV-Kabel, sodass die FCC stärker auf einen Wettbewerb zwischen DSL und Kabel setzen kann. Großbritannien und die Niederlande haben eine vergleichbare Ausgangslage wie die USA. In anderen Ländern wie Deutschland oder Italien können die Kunden großteils nur über die DSL-Technik der ehemaligen Monopolisten Breitbandanschlüsse erhalten. Ob und wann Wettbewerber mit UMTS-Netzen, TV-Kabel oder Stromleitungen eine flächendeckende Konkurrenz zu DSL aufbauen werden, ist derzeit nicht absehbar. Nach Ansicht der Autoren der NERA/Mercer-Studie kann das in Europa verwendete Modell der Telekommunikationsregulierung dennoch von den in den USA gemachten Erfahrungen profitieren, weil dort viele grundlegende Erkenntnisse über die Wirkung von Regulierungsmaßnahmen im Telekommunikationssektor gewonnen wurden.
In ihrer Gesamtheit zeigen die zahlreichen US-Studien zwei Grundtendenzen: Zum einen wird die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Breitbandnetzes übereinstimmend als enorm hoch eingeschätzt. Investitionen in die Netzinfrastruktur lösen nicht nur Mehrumsätze in der Telekommunikationsbranche aus und schaffen Arbeitsplätze. Die dadurch ausgelöste verbesserte Produktivität der vernetzten Unternehmen multipliziert die positiven Effekte sogar. Es geht um Zehntausende von Arbeitsplätzen und um einen erheblichen Schub für das Wirtschaftswachstum. Zum anderen weisen die US-Studien darauf hin, dass eine weniger stark eingreifende Regulierung die Investitionstätigkeit der Telekommunikationsunternehmen deutlich anregt und mehr Kundennutzen bringt. Dies gilt auch für kleine Unternehmen wie NetCologne und HanseNet, die angekündigt haben, der VDSL-Initiative der Telekom mit eigenen Glasfasernetzen zu folgen. Weniger Regulierung bedeutet also in der Regel einen höheren volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen.
Grundannahmen der Regulierer müssen hinterfragt werden
Zudem belegen zahlreiche US-Untersuchungen der letzten vier Jahre, dass die Regulierung des Netzzugangs ihre Ziele nicht erreicht hat. Insbesondere das so genannte Leitermodell, nach dem Marktneulingen ein schrittweiser Aufbau einer eigenen Infrastruktur ermöglicht werden soll, erfüllt seine Aufgabe nicht. "Die amerikanische Erfahrung zeigt, dass eine ungeeignete Regulierungspraxis abschreckend auf Investitionen in neue Dienste und die dafür notwendige Infrastruktur wirken kann", sagt Nigel Attenborough von der Volkswirtschaftsberatung NERA Economic Consulting. "Es gibt substanzielle Belege dafür, dass die US-Regulierungsbehörden die Zugangsentgelte zu niedrig angesetzt haben und ihre Entbündelungs- und Zugangsregeln überzogen waren. So lohnten sich Infrastrukturinvestitionen nur in Nischen, aber nicht im Gesamtmarkt."
Auch die Anregung der Gesamtnachfrage durch mehr Wiederverkäufer ist nach Ansicht der Autoren der Studie zu hinterfragen. Je mehr Anbieter, so die Theorie der Regulierer, desto größer der Wettbewerb und desto mehr Breitbandanschlüsse werden verkauft. Gesamtwirtschaftlich gilt die Verbreitung der Breitbandanschlüsse als äußerst wünschenswert, denn sie schafft volkswirtschaftlichen Nutzen. Allerdings greift die Theorie im Licht neuerer Erkenntnisse nur für Länder, in denen es einen funktionierenden Infrastrukturwettbewerb gibt, etwa zwischen DSL-Netz und Internetzugang via TV-Kabel. "Die aus Großbritannien stammende Erkenntnis, dass mit jedem Prozent Marktanteil, den BT verliert, die Zahl der Anschlüsse um drei Prozent steigt, kann international nicht aufrechterhalten werden", sagt der für die Studie verantwortliche Mercer-Berater Uli Prommer. "So hat etwa Deutschland, wo es verhältnismäßig wenige DSL-Anbieter gibt, eine klar höhere Zahl an DSL-Kunden pro 100 Einwohner als Italien, wo es mehr DSL-Anbieter gibt."
Deregulierung bringt klare volkswirtschaftliche Vorteile
Im Jahr 2005 gab es in Deutschland acht Millionen Breitbandnutzer. Nach den Berechnungen der Volkswirtschaftsexperten von NERA wird diese Zahl unter unveränderten Bedingungen bis 2010 auf 18 Millionen anwachsen. Durch eine Deregulierung des DSL-Netzes könnte sich der Anteil der Breitbandabonnenten sogar auf 20 Millionen bis 2010 erhöhen. Zudem könnte eine Breitband-Deregulierung 59.000 Arbeitsplätze schaffen und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,5 Milliarden Euro oder 0,2 Prozent pro Jahr steigern. Die tatsächlichen Zahlen dürften noch positiver sein, denn in der NERA-Rechnung wurden nur die Auswirkungen von Investitionen in Telekommunikationsausrüstung berücksichtigt. Nicht einbezogen wurden die volkswirtschaftlichen Effekte durch zusätzliche Ausgaben, die aufgrund erhöhter Produktionsleistung und höherer Einkommen bei neu geschaffenen Arbeitsplätzen entstehen - die so genannten Keynesianischen Multiplikatoreffekte.
Auch die Effekte eines unregulierten Hochgeschwindigkeitsnetzes für die Wettbewerber der Telekom wurden von der NERA-Studie nicht berücksichtigt. "Wir gehen jedoch davon aus, dass die Auswirkungen einer Breitband-Deregulierung auf die kleineren Telekommunikationsunternehmen überwiegend positiver Natur sein werden, da der gesamte Breitbandmarkt stimuliert würde", sagt NERA-Experte Attenborough. "Sie sind durch eine Deregulierung gefordert, in der Netzausbauphase zunächst eigene Netze aufzubauen. Später, wenn das hochmoderne Netz der etablierten Anbieter in seine Reifephase gekommen ist, können sie dieses zusätzlich mitnutzen, wenn das dann noch notwendig ist."
Entsprechende Ergebnisse erzielte die Studie auch für die drei anderen betrachteten Länder Großbritannien, Italien und die Niederlande. Rechnet man die Möglichkeiten der neuen Breitbanddienste in einem Netz mit VDSL-Geschwindigkeit ein, so könnte die Deregulierung in Deutschland, Großbritannien, Italien und den Niederlanden insgesamt mehr als 265.000 Arbeitsplätze schaffen. "Unsere Studie zeigt, dass eine zu restriktive Regulierung Zukunftschancen, Wachstum und neue Arbeitsplätze verhindert", resümiert Mercer-Berater Prommer. "Viele Länder haben daher in den letzten Jahren erste Schritte in Richtung Deregulierung unternommen. Sie bauen derzeit neue Netze auf. Deutschland und Europa dürfen in diesem für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zentralen Punkt nicht zurückbleiben."
Die Studie
Die Studie "Deregulierung in europäischen Breitbandmärkten - Potenziale einer ökonomisch orientierten Regulierungspraxis" von Mercer Management Consulting und NERA Economic Consulting untersucht die Effekte einer möglichen Deregulierung von Breitbandmärkten in vier europäischen Ländern. Ein Schwerpunkt der Studie liegt im Vergleich der Regulierung in den USA mit der EU. Die Studie quantifiziert die volkswirtschaftlichen Effekte einer Deregulierung neuer Breitbandmärkte in zwei Szenarien. Die Szenarien zeigen, dass eine Deregulierung von Preisen und Netzzugängen zu höheren Investitionen und daher zu einer schnelleren Verfügbarkeit und Verbreitung von Breitbanddiensten führt. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft wurden mithilfe von Leontieff-Multiplikatoren unter Verwendung der nationalen volkswirtschaftlichen Input-Output-Tabellen bestimmt. Keynesianische Multiplikatoreffekte, die den Anstoßeffekt höherer Einkommen auf den Rest der Volkswirtschaft bestimmen, wurden nicht berücksichtigt. Daher können die vorgestellten Berechungen der positiven Effekte der Deregulierung als konservative Schätzungen bezeichnet werden.
Fünf Thesen zur Telekommunikationsregulierung
1. Deregulierung schafft Investitionsanreize
Die Pflicht zum Angebot eines entbündelten Breitbandzugangs und regulierte Preise können Investitionen in neue Infrastruktur verhindern. In den USA tätigten die Telekommunikationsunternehmen nach Ankündigung der Breitband-Deregulierung bedeutende Netzinvestitionen.
2. Neueinsteiger werden nicht zwangsläufig zu Investoren
Das so genannte Leiterprinzip hat sich in der Praxis nicht bestätigt. Es besagt, dass Marktneulinge, die zunächst das Netz des Marktführers nutzen, später selbst eine eigene Infrastruktur aufbauen.
3. Viel Wettbewerb führt nicht zu mehr Anschlüssen
Mehr Wettbewerber sorgen nicht automatisch für mehr Breitbandanschlüsse. Damit entfällt ein wesentliches Regulierungsargument. Ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Breitbandtechnologien wie DSL oder TV-Kabel hätte wahrscheinlich eher diese Wirkung.
4. Breitbandnetze fördern die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft
Die neuen Breitbandnetze machen die zahlreichen Visionen, die zum Internetboom führten, jetzt erst möglich. Ein universell verfügbarer Breitbandzugang ist deshalb auch eine wichtige Grundlage für die technologische Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft.
5. Regulierung darf die Wirtschaftsmechanismen nicht behindern
In der Telekommunikation geht es um Zehntausende von Arbeitsplätzen und um einen beträchtlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Für ein gesamtwirtschaftliches Optimum müssen Regulierungsbehörden deshalb Marktmechanismen und Investitionsbereitschaft unterstützen, statt sie zu bremsen.
Mercer Management Consulting
Mercer Management Consulting ist Teil von Mercer Inc., New York, einer der führenden internationalen Unternehmensberatungen mit 160 Büros in 40 Ländern. Weltweit erwirtschaften 15.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 3,1 Milliarden US-Dollar. Die Büros in München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Hannover und Zürich tragen mit 520 Mitarbeitern zu diesem Erfolg bei.
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