Discours Suisse - Fremdsprachenunterricht in der Primarschule: Kantonale Alleingänge gefährden nationalen Zusammenhalt
Bern (sda/ots) -
Der Fremdsprachenunterricht in der Schweiz steht vor einer Zerreissprobe. Ost- und Zentralschweizer Kantone scheren aus dem EDK-Kompromiss aus, zwei Sprachen in der Primarschule zu unterrichten. Ein Machtwort auf Bundesebene zeichnet sich ab.
Nach kontroverser Debatte hatten sich Ende März 2004 die kantonalen Erziehungsdirektoren darauf geeinigt, dass spätestens ab 2010/12 eine erste Fremdsprache ab der 3. Klasse und eine zweite Fremdsprache ab der 5. Klasse gelehrt wird. Eine dieser Fremdsprachen muss eine zweite Landessprache sein.
In der Ost- und Zentralschweiz regte sich in Teilen der Lehrerschaft bald einmal Widerstand gegen diesen Beschluss. In Schaffhausen, Thurgau, Zug und Zürich sind Initiativen hängig, die nur eine Fremdsprache in der Primarschule zulassen wollen. Das wäre Frühenglisch. Französisch würde erst in der Oberstufe angeboten.
Deutschschweizer Lehrer uneins
Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass die Delegierten des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) diesen Sommer mit Zweidrittel-Mehrheit den Vorschlag verworfen haben, Französisch erst ab der 7. Klasse zu unterrichten.
Sie stellen sich hinter den EDK-Beschluss, jedoch unter bestimmten Bedingungen. So brauche es für den Sprachunterricht in der obligatorischem Grundschule einheitliche Regeln mit klaren Zielen und kohärenter Methodik.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat dafür ein offenes Ohr. Investitionen in die Ausbildung der Lehrer und didaktische Projekte seien eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung der Reform, sagte die EDK-Kommunikationsbeauftragte Gabriela Fuchs auf Anfrage.
Kopfschütteln in der Westschweiz
Wenig Verständnis für das Gezerre in der Deutschschweiz haben die Romands und die Tessiner. "Traurig und mit grosser Besorgnis verfolgen wir die Abwertung der französischen Sprache an den Deutschschweizer Schulen", sagte Anne-Cathrine Lyon, Präsidentin der Westschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz.
"Diese Attacken gefährden den nationalen Zusammenhalt. Sie unterhöhlen die Mehrsprachigkeit und die Solidarität zwischen den Sprachenregionen - zwei Grundpfeiler der Willensnation Schweiz". Sollten die Initiativen in der Deutschschweiz angenommen werden, brauche es auf nationaler Ebene ein Machtwort, sagte Lyon.
Gelassenheit im Tessin
Weniger hart tönt es im Tessin. Hier wird in der Primarschule als einzige Fremdsprache Französisch unterrichtet, auch wenn Deutsch im Berufsalltag dominiert. Grossrat Renato Riccardi, der zugleich Sekretär der Lehrergewerkschaft ist, geht davon aus, dass Französisch im Tessin auf Jahre hinaus die beliebteste Fremdsprache bleiben und dem Deutsch wie dem Englisch trotzen wird.
Vor diesem Hintergrund treibt die EDK ihre Bemühungen um eine Harmonisierung des Sprachunterrichts voran. Sie arbeitet derzeit ein Konkordat aus, das einheitliche Ziele und Strukturen in der obligatorischen Schule vorsieht. Für die beitretenden Kantone wäre das Konkordat rechtsverbindlich, sagte Fuchs.
Konkordat in der Vernehmlassung
Dieses Konkordat, das Anfang 2006 in die Vernehmlassung geht, schreibt einheitliche Bildungsstandards vor. Wer dem Vertrag beitreten will, müsste auf Primarstufe zwei Fremdsprachen unterrichten. Kantone, die den hängigen Spracheninitiativen zustimmen, bliebe der Beitritt verwehrt.
Bei einer Annahme der kantonalen Volksinitiativen würde wohl in der Tat der Bund ein Machtwort sprechen. Die am letzten Freitag vom Parlament gutgeheissene Bildungsverfassung gäbe dem Bund die Kompetenz, Eckwerte im Schulsystem zu regeln, wenn die Kantone keine einheitliche Lösung finden. Der Bund hätte das Recht, interkantonale Verträge für verbindlich zu erklären.
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