Die Notkoalition, Leitartikel zum Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, von Angela Wefers.
Frankfurt (ots)
Wenn von der designierten großen Koalition wenigstens ein positives Signal ausgeht, dann dieses: Deutschland dürfte bald wieder eine handlungsfähige Regierung haben. Das noch vor wenigen Wochen Undenkbare ist vollbracht. CDU/CSU und SPD, die sich im Wahlkampf bis aufs Messer bekämpften, haben einen gemeinsamen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Die Parteispitzen Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) - leicht gezeichnet von der durchverhandelten Nacht - gaben sich gut gelaunt vor der Presse in Berlin: Seht her, so signalisierten sie, wir haben uns nie so gut verstanden wie heute.
Damit enden die positiven Zeichen aus dem neuen Koalitionslager auch schon. Formal schwebt über dem Verhandlungsergebnis das Damoklesschwert des Mitgliedervotums der SPD-Basis. Stimmt diese nicht zu, ist der Koalitionsvertrag des großen Bündnisses Makulatur. Die Union müsste einen neuen Anlauf mit den Grünen versuchen oder es zu Neuwahlen kommen lassen. Die SPD-Parteiführung hat mit Blick auf die Skepsis in den eigenen Reihen noch ein Stück Arbeit vor sich, die Stimmung zu drehen. Zuzutrauen ist es Gabriel. Nicht zuletzt hängt seine eigene politische Zukunft daran.
Inhaltlich haben CDU, CSU und SPD zu nicht mehr als einer Notkoalition zusammengefunden. Der gemeinsame Vertrag lässt Aufbruchsgeist vermissen, der die Wirtschaft beflügeln und sogar durch gute Gewinne und hohe Beschäftigung die öffentlichen Kassen auch künftig füllen würde - sei es mit Steuern oder Sozialbeiträgen. Stattdessen mussten Industrie und Mittelstand um die unternehmerische Freiheit fürchten und hatten neue Lasten vor Augen. Die Koalitionäre verhandelten über massive Verschärfungen bei der Unternehmensbesteuerung oder über die Deckelung von Managergehältern. Im Koalitionsvertrag konnten CDU und wohl auch CSU die SPD zwar bremsen. Dass die Union damit nur noch in der Rolle der Verhinderer größeren Übels steckt, ist kein Gewinn. Perspektive wäre vonnöten.
Stattdessen steht im Zentrum schwarz-roter Politik die einfallslose Maßnahme, Wohltaten zu verteilen. Mehr Geld für Straße und Schiene, für Städtebau sowie Forschung und Bildung ist durchaus hilfreich, wenn Deutschlands Infrastruktur nicht zerfallen und die Ausbildung künftiger Generationen international Schritt halten soll. In einem rohstoffarmen Land ist es für den künftigen Wohlstand noch immer am besten, in den Inhalt von Köpfen zu investieren. Völlig unverständlich ist aber, warum die große Koalition bei der Rentenpolitik Reformen leichter Hand opfert, die in der vergangenen Dekade mühsam erkämpft worden sind. Die heute schon absehbaren Folgen einer alternden Bevölkerung vor Augen handelt Merkel geradezu leichtfertig, wenn sie die aktuell gute Lage am Arbeitsmarkt als Rechtfertigung für Rentenversprechen heranzieht. Milliardenlasten treffen die Sozialkassen in künftigen Dekaden.
Auch vor mehr Staatsdirigismus schreckt die schwarz-rote Koalition nicht zurück. Sie verständigt sich auf einen Mindestlohn und träumt von Vollbeschäftigung. Sie will mit einer Mietpreisbremse Bürger vor hohen Preisen für Wohnraum schützen. Wo bleibt der ökonomische Sachverstand? Da wünscht sich mancher eine Nachhilfestunde von Ludwig Erhard, der in einem Handstreich Preise freigab und damit flugs die Läden füllte. Vor allem dafür trägt er den ehrenvollen Titel: Vater der sozialen Marktwirtschaft.
Die Pläne zur Regulierung von Finanzmärkten stehen - vermutlich versehentlich - im Kapitel "Wachstum, Innovation und Wohlstand". Die Koalition unterstützt im Kern Vorhaben, die schon in Brüssel verhandelt werden - wie die Eindämmung des Hochfrequenzhandels oder strengere Vorgaben für Schattenbanken. Belange der Sparkassen und Genossenschaftsinstitute sowie Förderbanken will sie vor zu großen Übergriffen aus Brüssel schützen. Aber wo ist die Perspektive? Ein Satz wie: Wir brauchen stabile Kreditinstitute, damit die Realwirtschaft in Deutschland floriert - das wäre zukunftsweisend. Nur für den Mittelstand hat dies Einzug in den Vertrag gefunden. Große Unternehmen blendet Schwarz-Rot aus.
Nicht zuletzt lässt die undurchsichtige Finanzierung Fragen offen. Es gab Zeiten, da lag nach Koalitionsverhandlungen ein Finanztableau vor. Diesmal: Fehlanzeige. Schwarz-Rot setzt auf die gute Wirtschaftslage und eine Politik zulasten gut gefüllter Sozialkassen. Dieses Blatt kann sich schnell wenden. Dann ist die Koalition in Not.
(Börsen-Zeitung, 28.11.2013)
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