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Emotionen statt Sachverstand/Berliner Morgenpost um Ringen des Senats um eine Position zum Energie-Volksentscheid

Berlin (ots)

Die Energie erhitzt die Gemüter im Senat stärker als erwartet. Eigentlich wollten sich die Koalitionäre aus SPD und CDU am heutigen Dienstag auf eine gemeinsame Position zum Volksentscheid über die künftige Energieversorgung verständigen. Doch: Thema kurzfristig abgesagt und in die nächste Woche vertagt. In der Hoffnung, bis dahin eine gemeinsame Antwort auf die Frage zu finden, ob Berlin ein eigenes Stadtwerk gründen und gleichzeitig um die Übernahme des Netzes mitbieten soll, das noch Vattenfall betreibt.

Im Senat gibt es insgeheim eine fast durchgehende Ablehnungsfront. Allein die CDU mit ihrer Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer bekennt sich offen dazu. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) dagegen steckt in der Bredouille. Wie sein Finanzsenator Ulrich Nußbaum hält er nichts von dem Engagement, einflussreiche Teile der SPD samt dem Vorsitzenden Jan Stöß dagegen sehr viel. Kompliziert wird die Entscheidungsfindung dadurch, dass sich die Fraktionschefs Raed Saleh (SPD) und Florian Graf (CDU) einst auf die Gründung eines Stadtwerkes verständigt hatten - in der Hoffnung, so den Volksentscheid zu verhindern.

Die neue Begeisterung für kommunale Unternehmen - nicht nur in Berlin - ist mehr emotionalen regionalen Gefühlen geschuldet denn energiepolitischem Sachverstand. Die Mahnung des Bundeskartellamts-Präsidenten Andreas Mundt ist ja nicht aus der Luft gegriffen: Bei der Gründung eines Stadtwerks und dem Rückkauf des Stromnetzes gehe es um hochkomplexe wirtschaftliche und unternehmerische Entscheidungen. Vor unrealistischen Erwartungen sei gewarnt, insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahme von Stromnetzen, in die ständig investiert und modernisiert werden müsse. Jetzt hat auch noch der frühere Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs EU-rechtliche Bedenken angemeldet.

Angesichts des Schuldenbergs von 63 Milliarden Euro muss sich Berlin hüten, zusätzlich zum Großflughafen BER neue, hoch riskante Investitionsabenteuer einzugehen. Auf nichts anderes läuft der Aufbau eines Stadtwerks und die Übernahme der Stromleitungen hinaus. Kosten von rund einer Milliarde Euro sind realistisch. Dabei beruht der angebliche Vorteil für die Berliner allein auf Heils- und Leerversprechen: mehr Ökostrom, mehr Wettbewerb, sinkender, sozial gestaffelter Strompreis, Beschleunigung der Energiewende und auch noch ein Beitrag zum Klimaschutz. Längst können die Berliner zwischen mehr als 200 Stromanbietern wählen, darunter rund 100 Ökostrom-Optionen. Und ob der Strom wirklich billiger wird, ist ebenso fraglich wie das Versprechen, den Kauf der Netze aus den Netzentgelten zu finanzieren. Diese werden von der Bundesnetzagentur streng reguliert vorgegeben. Höchst ungewiss zudem, ob das Zinsniveau so historisch niedrig bleibt. Denn alles müsste ja über neue Kredite finanziert werden.

Der Senat und alle Berliner sollten sich erinnern, was aus den Versprechungen über den Rückkauf der Wasserbetriebe geworden ist. Die Bürger zahlen heute so viel wie vorher, und ihren Nachkommen haben sie durch die Rekommunalisierung noch mehr Schulden aufgebürdet. Warum also ein Risiko eingehen, das für die Berliner keine wirkliche Verbesserung bringt?

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