Medienmitteilung des Luzerner Obergerichts: Sieben Jahre Zuchthaus für Vergewaltiger, aber keine Verwahrung
Luzerner (ots)
Das Luzerner Obergericht hat die Verwahrung eines 22-jährigen Vergewaltigers aufgehoben, das Urteil des Kriminalgerichts aber im Wesentlichen bestätigt.
Der Angeklagte hatte im Dezember 2002 in einem privaten Haus in der Stadt Luzern nach Kokaindealern gesucht. Gemäss eigenen Angaben täuschte er sich in der Adresse und traf auf eine 77-jährige Frau und ihre 4-jährige Enkelin, welche ihm die Tür öffneten. Der Mann schlug aus ungeklärten Gründen auf die Frau ein und verletzte diese schwer. Danach vergewaltigte er das Mädchen. Bevor er flüchtete entwendete er diverse Gegenstände aus der Wohnung. Dank einer DNA-Spur konnte der Täter identifiziert und überführt werden.
Das Obergericht hatte primär die Frage zu beurteilen, wie diese sexuellen Übergriffe auf das 4-jährige Mädchen zu qualifizieren waren. Unbestritten war, dass sich der Angeklagte der Unzucht mit einem Kind schuldig gemacht hatte. Weiter ergab sich relativ klar, dass zusätzlich der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt war. Der Angeklagte bestritt zwar ein entsprechendes Vorgehen, gerichtsmedizinische Untersuchungen ergaben aber ein eindeutiges Beweisergebnis.
Der Vergewaltigung schuldig
Schwierig zu beurteilen war dagegen die Frage, wie diese Vergewaltigung rechtlich zu qualifizieren war. Im Gegensatz zur Vorinstanz sah das Obergericht nicht den schweren Fall einer Vergewaltigung als erfüllt an. Diese andere Betrachtungsweise erfolgte aus rein rechtlichen Gründen. Gestützt auf Lehre und Rechtsprechung war davon auszugehen, dass ein besonders grausamen Fall der Vergewaltigung nur dann angenommen werden kann, wenn der Täter eine Waffe oder andere gefährliche Gegenstände zur Tatbegehung verwendet. Es hätte also ein Verhalten an den Tag gelegt werden müssen, welches über das schwere Unrecht hinausgeht, das jeder Vergewaltigung schon auf entsetzliche Weise anhaftet. Es hätte eine zusätzliche Gefahr für das Opfer bestehen müssen, was im vorliegenden Fall nicht anzunehmen war. Vielmehr war das kleine Mädchen geradezu "leichte Beute" für den Angeklagten, er brauchte gar nicht besondere Gewalt anzuwenden. So weit zu gehen, jede Vergewaltigung eines solchen jungen Opfers als besonders schweren Fall zu qualifizieren, hätte herrschender Meinung in der Literatur und der Rechtsprechung des Bundesgerichts widersprochen. Deshalb sprach das Obergericht den Angeklagten in diesem Zusammenhang nur der Vergewaltigung gemäss ihrem Grundtatbestand schuldig.
Verminderte Zurechnungsfähigkeit?
Auch wird das Verhalten des Angeklagten als sehr schwerwiegend erachtet. Das Obergericht erachtete diesen sexuellen Übergriff auf ein völlig wehrloses, kleines Kind im Gegensatz dazu als besonders verwerflich. Das Verschulden des Angeklagten wurde als ausserordentlich schwer bezeichnet. Dies kann aufgrund der hohen Strafe geschlossen werden, die auch dem Obergericht im Einklang mit dem Kriminalgericht als angemessen erschien. Es gilt zu beachten, dass der Grundtatbestand der Vergewaltigung gemäss Gesetz einer maximalen Strafe von zehn Jahren Gefängnis unterliegt. Der Angeklagte leidet an einer schweren psychischen Störung und machte überdies geltend, unter dem Einfluss von Drogen gehandelt zu haben. Deshalb billigte ihm das Gericht in Übereinstimmung mit den Feststellungen des psychiatrischen Sachverständigen in diesem Fall eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grad zu, die sich strafmindernd auszuwirken hatte. Dennoch wurde die relativ hohe Strafe von sieben Jahren bestätigt.
Verwahrung nicht bestätigt
Bei der Beurteilung der Sanktion trug das Obergericht der Tatsache, dass der Angeklagte an einer massiven psychischen Störung leidet, grundlegend anders als die Vorinstanz Rechnung. Der psychiatrische Sachverständige hatte bei ihm eine sog. dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Diese Krankheit charakterisiert sich unter anderem dadurch, dass es einem Betroffenen an jeglichem Einfühlungsvermögen mangelt und er unfähig ist, Schuldgefühle zu empfinden. Weiter war symptomatisch beim Angeklagten, dass er seine Gefühle der Aggression nicht zu kontrollieren vermochte. Ein solches Krankheitsbild ist sehr problematisch, wie bereits das strafbare Verhalten des Angeklagten deutlich macht. Die mangelnde Einsicht und Reue, die hier typisch ist, kam auch anlässlich der obergerichtlichen Verhandlung zum Ausdruck. Das Kriminalgericht hatte mit Blick auf diese Situation eine Verwahrung des Angeklagten angeordnet, was das Obergericht nicht bestätigte. Es wurde nicht verkannt, dass Täter mit einem solchen Krankheitsbild ausserordentlich schwer zu therapieren sind und die Prognose des Angeklagten, einmal wieder ein geordnetes Leben führen zu können, sehr schlecht ist. Dennoch sollte nach Auffassung des Obergerichts die konkrete Vollzugssituation in der Schweiz nicht ausser Acht gelassen werden. Eine Verwahrung des Angeklagten würde faktisch ein lebenslängliches Einsperren ohne jegliche Perspektive bedeuten. Verwahrte Personen fristen ihren Alltag in den meisten Fällen in Strafanstalten und ohne besondere psychiatrische Betreuung, die dem konkreten Krankheitsbild ausreichend Rechnung tragen kann.
Eine Perspektive für den Täter
Das Obergericht erkannte anderseits, dass der Angeklagte, jedenfalls soweit dies den Akten zu entnehmen war, früher noch nicht nennenswert strafrechtlich aufgefallen war. Fest stand einfach, dass er mit acht Jahren aus Südamerika in die Schweiz kam und in seiner Pflegefamilie sowie im späteren Berufsleben nie richtig Fuss fassen konnte. Der Aufenthalt in verschiedenen Heimen liess ihn immer renitenter werden, ohne dass eine eigentliche Behandlung seiner Krankheit je in Angriff genommen werden konnte. Eine strafrechtliche Verwahrung würde bei der heutigen Vollzugssituation bedeuten, dass der Angeklagte nie mehr in Freiheit entlassen würde. Die Chance, seine psychischen Probleme mit ärztlicher Hilfe so zu bewältigen, dass ein Leben in Freiheit zumindest eine Perspektive darstellt, wollte das Obergericht dem noch jungen, noch nicht einmal fünfundzwanzigjährigen Täter, aber nicht völlig nehmen.
Entsprechend ordnete das Obergericht statt einer Verwahrung eine Freiheitsstrafe an, die mit einer ambulanten therapeutischen Massnahme während des Strafvollzugs verbunden sein sollte. Falls diese Behandlung keinen Erfolg zeitigen würde, könnte der Angeklagte bis zur Verbüssung der siebenjährigen Freiheitsstrafe immer noch verwahrt werden, weshalb ein solches Vorgehen dem Obergericht als verhältnismässig erschien.
Kontakt / Hinweis an die Medien:
Oberrichterin Dr. Marianne Heer steht den Medien - ebenso wie der zuständige Staatsanwalt Peter Bühlmann - für Auskünfte heute Montag, 30. Juni 2005, um 15.00 Uhr im Kleinen Gerichtssaal, Obergericht 2. Stock, Hirschengraben 16, Luzern zur Verfügung. Telefonische Auskünfte können nicht erteilt werden.