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SNF: Abschluss des Nationalen Forschungsprogramms «Hormonaktive Stoffe»

Bern (ots)

Chemikalien mit Nebenwirkungen
Hormonaktive Chemikalien, die im Körper Schaden anrichten können, 
sind weit verbreitet: Sie kommen in Kunststoffen, Pestiziden oder 
Kosmetika vor - und gelangen von dort in Mensch und Tier. Das nun 
abgeschlossene Nationale Forschungsprogramm «Hormonaktive Stoffe: 
Bedeutung für Menschen, Tiere und Ökosysteme» (NFP 50) zeigt unter 
anderem, dass die Belastung von Flüssen und Trinkwasser in der 
Schweiz eher tief ist. In Muttermilch aber fanden Forschende 
beunruhigend hohe Konzentrationen solcher Substanzen.
Die Forschenden des NFP 50 untersuchten in den vergangenen sechs 
Jahren in 31 Projekten, ob und wie hormonaktive Chemikalien für 
Mensch, Tier und Umwelt eine Gefahr darstellen könnten. Die Resultate
sind zum Teil beruhigend, legen zum Teil aber auch genauere 
Risikoabklärungen nahe. Eine gute Nachricht ist beispielsweise, dass 
die Menge der übers Trinkwasser aufgenommenen hormonaktiven 
Substanzen im Allgemeinen zu gering ist, um eine Gefahr für die 
menschliche Gesundheit darzustellen. Auch die Belastung der in 
Flüssen des Schweizer Mittellands untersuchten Forellen war allgemein
eher tief. Nachweislich erhöhte Werte wurden einzig direkt unterhalb 
von Kläranlagen gefunden.
Das Programm förderte aber auch verschiedene neue potenziell 
hormonaktive Stoffe zu Tage. Forschende um Margret Schlumpf und 
Walter Lichtensteiger von der Universität Zürich etwa untersuchten 
UV-Filter, chemische Substanzen, die in Sonnencrèmes und Kosmetika 
vorkommen und dort für den Schutz vor den schädlichen UV-Strahlen 
sorgen. Sie konnten nachweisen, dass einige dieser Filter zumindest 
bei Ratten die Entwicklung der Geschlechtsorgane und des Gehirns 
stören können.
UV-Filter in drei Viertel der Proben
In Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Basel untersuchten 
Schlumpf und Lichtensteiger darauf in den Jahren 2004 bis 2006 
Muttermilch von insgesamt 54 Frauen. In über drei Viertel der 
Muttermilchproben fanden sich einer oder mehrere UV-Filter. 
Diejenigen Frauen, die viel Sonnenschutzmittel und Kosmetika mit 
solchen Filtern benutzten, hatten auch höhere Konzentrationen davon 
in der Muttermilch.
Die Konzentrationen sind zum Teil Besorgnis erregend hoch: Der 
höchste Muttermilchwert eines UV-Filters lag nur elf Mal tiefer als 
die Konzentration in der Milch von Ratten bei einer Dosis, die bei 
den Tieren zu Funktionsstörungen führte. Üblich ist bei solchen 
Vergleichen eine Sicherheitsmarge von einem Faktor 100. «Um 
festzustellen, wie gefährlich solche Expositionen sind, bedarf es 
unbedingt weiterer Studien», sagt Felix Althaus, der Präsident der 
Leitungsgruppe des NFP 50.
«Tarnkappenchemikalien»
Schwierig und zeitraubend sind Untersuchungen zur Toxizität, weil 
hormonaktive Stoffe nur sehr begrenzt vergleichbar sind mit anderen 
Chemikalien, die schädigend auf Mensch und Tier einwirken:
* Studien zeigen, dass hormonaktive Stoffe schon in Mengen wirken 
können, die um Grössenordnungen unterhalb der Schwelle 
konventioneller Toxizität liegen. «Wir sprechen deshalb auch von 
<Tarnkappenchemikalien>», sagt Althaus.
* Menschen und Tiere sind nicht in allen Altersstufen gleich anfällig
auf hormonaktive Stoffe. Besonders gefährdet sind ungeborene und 
neugeborene Kinder, denn die hormonaktiven Stoffe beeinflussen die 
Entwicklung. Danach reagiert der Organismus weniger sensitiv auf 
diese Substanzen.
* Ganz unterschiedliche Stoffe können auf den gleichen Rezeptor im 
Körper einwirken - die Wirkung kann dadurch sogar grösser werden als 
dies aufgrund der Summe der Stoffe zu erwarten wäre.
* Durch hormonaktive Stoffe verursachte Veränderungen im Körper 
können sogar an die Nachkommen vererbt werden, wie neue Studien 
zeigen. Diese Feststellung begründet eine ganz neue Sichtweise in der
toxikologischen Forschung.
Eine wichtige Klasse von Stoffen, die im Verdacht stehen, 
hormonaktiv zu wirken, sind bromhaltige Flammschutzmittel. Sie werden
von der Industrie benutzt, um die Entflammbarkeit von Materialien wie
Kunststoffen oder Textilien zu senken. Studien im Rahmen des NFP 50 
zeigten erstmals, wie verbreitet diese Stoffe in der Umwelt in der 
Schweiz sind. Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und 
Forschungsanstalt (Empa) fanden bromierte Flammschutzmittel unter 
anderem in Fischen, in Klärschlamm und sogar in Füchsen in der Stadt 
Zürich.
Aus brandgesicherten Materialien gelangen bromierte 
Flammschutzmittel aber auch in die Luft: Die Forschenden fanden sie 
in unterschiedlichen Konzentrationen im Hausstaub und in der Luft von
Büroräumen. Extrem hohe Konzentrationen stellten sie in der 
Staubprobe aus einem Flugzeug fest - was angesichts der Anforderungen
an die Brandsicherheit keine Überraschung darstellt. Aufgrund der 
Resultate gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Menschen von 
einigen der Verbindungen ebenso grosse oder grössere Mengen über 
belasteten Hausstaub aufnehmen, wie über Lebensmittel. Besonders 
gefährdet sind Kleinkinder, weil sie auf dem Boden herumkrabbeln, und
Berufsgruppen wie Piloten oder Kabinenpersonal, die sich ständig in 
Räumen mit hoher Brandsicherheit aufhalten.
Weil hormonaktive Stoffe in derart geringen Konzentrationen und 
sehr spezifisch wirken können, nahm die Entwicklung neuer Methoden im
NFP 50 eine besonders wichtige Stellung ein. Unter anderem gelang es,
ein nun über das Internet zugängliches virtuelles Labor zu 
entwickeln, mit dem das toxische Potenzial von hormonaktiven Stoffen 
vorhergesagt werden kann. Auch zwei massenspektrometrische Methoden 
werden in Zukunft bei der Abschätzung helfen, wie stark sich ein 
chemischer Stoff im Körper an einen Rezeptor bindet - und damit, wie 
toxikologisch relevant er ist.
Langzeitüberwachung
Welche Lehren sollen aus den Ergebnissen des NFP 50 gezogen werden? 
Diese Frage diskutierten Vertreter der Forschung, der Industrie und 
des Bundes an so genannten Konsensplattformen. Dabei erarbeiteten sie
gemeinsam Empfehlungen, die zur Vermeidung von negativen Auswirkungen
möglicherweise hormonaktiver Chemikalien beitragen sollen. Generell 
waren sich die Beteiligten einig, dass eine Langzeitüberwachung und 
weitere Forschung nötig sind, um die Gefährlichkeit der hormonaktiven
Stoffe genauer zu eruieren. Und wissenschaftliche Unsicherheiten 
dürften nicht als Argument dienen, um Massnahmen zu verhindern, die 
das von hormonaktiven Stoffen ausgehende Risiko reduzieren. Im Detail
erklärte sich die Industrie beispielsweise bereit, zu prüfen, ob sie 
freiwillig in Sonnenschutzmitteln auf die besonders verdächtige 
UV-Filter-Substanz 4-MBC verzichten kann. Und die Bundesbehörden 
prüfen zum Beispiel je nach wissenschaftlichen Ergebnissen weitere 
Einschränkungen oder Verbote von hormonaktiven bromierten 
Flammschutzmitteln.
Hormonaktive Substanzen
Weltweit werden rund 100'000 chemische Substanzen wirtschaftlich 
genutzt. Eine Reihe davon steht im Verdacht, den Hormonhaushalt von 
Mensch oder Tier zu stören und damit Schäden anrichten zu können. Ein
Grossteil der Chemikalien wurde bislang noch nicht auf eine mögliche 
hormonelle Aktivität untersucht. Gemäss heutiger Kenntnis greifen 
hormonaktive Substanzen auf zwei Arten in den Hormonhaushalt ein: 
Gewisse Stoffe docken an die Hormonrezeptoren in den Körperzellen an 
und imitieren dort die Wirkung eines Hormons oder blockieren den 
Rezeptor. Andere Substanzen stören den Transport oder den Auf- und 
Abbau von Hormonen im Körper.
Kurze Schlussberichte der einzelnen Projekte sowie Bilder sind auf
der Website des NFP 50 abrufbar: http://www.nfp50.ch.
Dieser Text sowie die anderen Unterlagen zur Medienkonferenz 
stehen ab dem 26.6.2008, 11.00 Uhr, auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung:
http://www.snf.ch > Medien > Medienkonferenzen

Kontakt:

Prof. Felix Althaus
Präsident der Leitungsgruppe NFP 50
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Veterinärmedizinische Fakultät
Universität Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH-8057 Zürich
Tel.: +41 (0) 44 635 87 62
E-Mail: fra@vetpharm.unizh.ch

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