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Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse

SNF: Sterbehilfe zunehmend nicht nur für tödlich Kranke

Bern (ots)

Suizidbeihilfe durch die Organisationen Exit Deutsche Schweiz und
Dignitas
Fast doppelt so viele Frauen wie Männer lassen sich von den 
Sterbehilfeorganisationen Exit Deutsche Schweiz (Stadtzürcher Fälle) 
und Dignitas in den Tod begleiten. Zu diesem Schluss kommt ein vom 
Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstütztes Forschungsprojekt, 
das erstmals die Praktiken der beiden Organisationen untersucht und 
miteinander vergleicht. Die Studie* zeigt auch, dass immer mehr nicht
an einer tödlichen Krankheit leidende Menschen von Exit 
Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen.
Forschende der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule für 
Angewandte Wissenschaften (ZHAW) haben die Fälle von Suizidbeihilfe 
untersucht, die zwischen 2001 und 2004 vom Institut für Rechtsmedizin
der Universität Zürich abgeklärt wurden; jede Suizidbeihilfe ist 
meldungspflichtig und wird durch die Untersuchungsbehörden geprüft. 
Die Studie umfasst fast alle Fälle der Sterbehilfeorganisation 
Dignitas sowie die Stadtzürcher Fälle von Exit Deutsche Schweiz, also
circa ein Drittel derer Fälle. Die Forschenden erhoben Geschlecht, 
Alter, Zivilstand, Nationalität, medizinische Diagnose, 
Krankheitstypen und anderes.
Die Studie untersucht 274 Menschen, die von Dignitas, und 147 
Menschen, die von Exit in den Tod begleitet wurden (zwischen 2001 und
2004). Zusätzlich verglichen die Forschenden die Daten mit einer 
Studie, die alle 149 Fälle von Suizidbeihilfe der Organisation Exit 
von 1990 bis 2000 in der Stadt Zürich untersucht hatte. «Bislang 
wurde die öffentliche Diskussion um die Sterbehilfe überwiegend 
emotional geführt. Mit unserer Studie erfassen wir diese Praxis 
wissenschaftlich aus unabhängiger Warte. Wir versuchen, damit einen 
Beitrag zur Versachlichung des Themas zu leisten», sagt der Arzt und 
Medizinethiker Georg Bosshard, der die Studie leitete.
Lebensmüdigkeit gewinnt an Bedeutung
Der Vergleich zeigt deutliche Unterschiede zwischen Dignitas und Exit
auf: Während Exit bei den untersuchten Fällen nur ausnahmsweise 
Suizidbeihilfe bei Ausländern leistet (2001 bis 2004: 3 Prozent), 
stammen bei Dignitas 91 Prozent aller in den Tod begleiteten Menschen
aus dem Ausland. Das Durchschnittsalter liegt bei Dignitas mit 65 
Jahren deutlich unter jenem bei Exit (77 Jahre). «Dieser Unterschied 
könnte daher rühren, dass Sterbewillige aus dem Ausland genügend fit 
sein müssen, um in die Schweiz zu reisen», erklärt Bosshard. Grösser 
war bei Dignitas der Anteil von Menschen mit einer tödlichen 
Krankheit: 79 Prozent der Dignitas-Patienten litten an unheilbaren 
Krankheiten; dazu zählten die Forschenden zum Beispiel Krebs, 
multiple Sklerose und amyotrophe Lateralsklerose. Bei Exit betrug der
Anteil zwischen 2001 und 2004 67 Prozent.
Die übrigen Patienten litten nicht an einer tödlichen Krankheit. 
«Meist waren das alte Menschen mit mehreren diagnostizierten 
Krankheiten, zum Beispiel rheumatische Beschwerden oder 
Schmerzsyndrome», sagt die Soziologin Susanne Fischer, die 
Erstautorin der Studie. Der Vergleich mit den Stadtzürcher Daten von 
Exit aus den neunziger Jahren zeigt, dass diese Personengruppe 
deutlich grösser geworden ist. Von 1990 bis 2000 verzeichnete Exit 22
Prozent Sterbewillige, die nicht an einer tödlichen Krankheit litten.
Zwischen 2001 und 2004 machten diese ein Drittel aller Fälle aus. Im 
gleichen Zeitraum stieg bei Exit auch das Durchschnittsalter von 69 
auf 77 Jahre. «Lebensmüdigkeit und ein allgemein schlechter 
Gesundheitszustand haben also bei älteren Menschen aus der Schweiz an
Bedeutung gewonnen als Motiv dafür, Suizidbeihilfe zu suchen», sagt 
Fischer. Der Grund für den Anstieg sei wahrscheinlich, dass die 
Sterbehilfeorganisation Exit aufgrund der grossen Nachfrage ihre 
Praxis lockerte. Exit habe in den neunziger Jahren angekündigt, sich 
für alte, lebensmüde Menschen öffnen zu wollen.
Dass es immer wieder über 80-jährige, nicht todkranke Menschen 
gibt, die den Wunsch nach Suizidbeihilfe äussern, wisse man aus 
Studien in den Niederlanden, sagt Fischer. Dort ist die 
Suizidbeihilfe allerdings völlig in Ärztehand - und die holländischen
Ärzte kommen solchen Sterbewünschen kaum je nach, weil es ihrer 
Berufsethik widerspricht, jemandem sterben zu helfen, der keine 
tödliche Krankheit hat. «Im Unterschied dazu scheint man in unserem 
System, wo Sterbehilfeorganisationen eine wichtige Rolle spielen, 
eher bereit, Suizidbeihilfe auch für nicht todkranke alte Menschen 
zuzulassen», sagt Fischer.
Deutlicher Geschlechterunterschied
Die Ergebnisse fördern auch einen deutlichen Geschlechterunterschied 
zu Tage: Bei beiden Sterbehilfeorganisationen nahmen in den letzten 
Jahren deutlich mehr Frauen als Männer die Suizidbeihilfe in Anspruch
(Dignitas: 64 Prozent; Exit: 65 Prozent). In den neunziger Jahren war
die Verteilung bei Exit mit einem Frauenanteil von 52 Prozent noch 
ausgeglichen. «Die Analyse der Gründe ist noch nicht abgeschlossen», 
sagt der Pflegewissenschaftler Lorenz Imhof. Die Forschenden 
vermuten, dass ein Faktor die höhere Lebenserwartung von Frauen ist: 
Sehr alte Menschen haben oft mit dem Leben abgeschlossen. Aus 
Suizidstatistiken ist auch bekannt, dass sich Männer häufiger selber 
umbringen - lebensmüde Frauen hingegen könnten sich eher an eine 
Sterbehilfeorganisation wenden.
Die auch von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen 
Wissenschaften (SAMW) unterstützte Studie dokumentiert auch, dass 
sowohl Dignitas als auch Exit in einzelnen Fällen bei psychisch 
Kranken Suizidbeihilfe geleistet haben. Dies gilt unter Experten als 
umstritten, zumal nur urteilsfähigen Personen Beihilfe geleistet 
werden darf. «In seinem Bericht muss der abklärende Arzt deshalb 
Stellung nehmen zur Frage der Urteilsfähigkeit», erklärt Georg 
Bosshard. Bei den vorliegenden Fällen hätten offenbar auch die 
Untersuchungsbehörden die Sterbehilfe als rechtmässig beurteilt. Ihm 
seien jedenfalls keine Strafverfahren bekannt.
* S. Fischer, C.A. Huber, L. Imhof, R. Mahrer Imhof, M. Furter, 
S.J. Ziegler, G. Bosshard. Suicide assisted by two Swiss right-to-die
organisations. Jour-nal of Medical Ethics 2008.
Begriffsdefinition und Rechtslage
Unter Suizidbeihilfe versteht man die Bereitstellung oder 
Verschreibung eines tödlichen Medikamentes, das einer Person die 
Selbsttötung ermöglicht.
In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid, solange diese nicht aus 
selbstsüchtigen Beweggründen erfolgt (Art. 115 StGB), nicht strafbar.
Gemäss geltender Praxis darf Beihilfe nur urteilsfähigen Personen 
geleistet werden. Das Strafgesetz schreibt aber keine medizinischen 
Bedingungen vor. Demgegenüber erlauben die - gesetzlich nicht 
bindenden - Richtlinien der Schweizerischen Akademie der 
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) die ärztliche Beteiligung an der 
Beihilfe zum Suizid nur bei Patienten am Lebensende.
Dieser Text zur Medienkonferenz steht ab dem 04.11.2008, 10.00 
Uhr, auf der Website des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung:
http://www.snf.ch > Medien > Medienkonferenzen

Kontakt:

PD Dr. Georg Bosshard
Leitender Arzt für Klinische Ethik
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich
Tel: 044 255 93 91
e-mail: georg.bosshard@usz.ch

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