FAW: Hagenwyler-Apfel, Maseron-Birne & Co. sind gerettet
Ein halbes Tausend bedrohter Obstsorten aus der Ostschweiz können dank dem Verein Fructus und Agroscope FAW Wädenswil gerettet werden. Unzählige fast ausgestorbene Lokalsorten der Kantone Appenzell Ausser- und Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau werden in der Obstsortensammlung Roggwil (TG) zu neuem Leben erweckt.
(ots)Im letzten Jahr hat Agroscope FAW Wädenswil in den Kantonen Appenzell Ausser- und Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau nach alten, vom Aussterben bedrohten Obst- und Beerensorten gesucht. Dies im Rahmen der seit vier Jahren laufenden Inventarisierung der Obst- und Beerensorten, welche die FAW im Auftrag von Fructus und in Zusammenarbeit mit Pro Specie Rara durchführt. Bis Ende 2004 wird die Suche in der ganzen Schweiz abgeschlossen sein.
Erprobte Sortenfahnder Doch wie ist es möglich, unter den gut 600'000 Ostschweizer Hochstämmen genau die gesuchten Sortenschätze zu finden? Die Fahndungsmethode der Wädenswiler Forscher ist inzwischen gut erprobt: Im Dezember 2002 waren rund 11'000 Landbewirtschafter in den vier Ostschweizer Kantonen mit einer Umfrage angeschrieben worden. «Unsere Kunst war, aus den 31000 Meldungen und Angaben über Reife, Herkunft und Eigenschaften der Sorten die gefährdeten und bisher unbekannten Sorten herauszufiltern die reinste Detektivarbeit», erklärt der Projektleiter Simon Egger.
Es gibt nicht mehr viele Leute, die noch Bescheid wissen über die Sorten unserer Ahnen. Doch das Projektteam wusste sich zu helfen: Fünfzehn Baumwärter und Obstsortenkenner aus den verschiedenen Regionen besuchten in der Reifezeit viele Sortenbesitzer, die an der Umfrage teilgenommen hatten, um vor Ort mehr über die gemeldeten Früchte zu erfahren. Spannende Geschichten trugen sie so zusammen und nicht selten stiessen sie auf weitere, noch nicht gemeldete Sortenfunde, wie eine schwarz gestreifte Hedelfingerkirsche in Fruthwilen oder die verschollen geglaubte Speerbirne in Grabs. Gab eine Sorte besondere Rätsel auf, wurden die Früchte mit alter Literatur verglichen, zum Beispiel mit den exakten Beschreibungen in Text und Bild, wie sie der wichtigste Schweizer Pomologe und Thurgauer Gustav Pfau-Schellenberg (1815 1881) in seinem Werk überliefert hat.
Thurgau war früher ein Birnenparadies Insgesamt dominieren in «Mostindien» - wen würde es erstaunen - Äpfel und Birnen, darunter besonders das Mostobst. Dabei fällt auf, dass die Äpfel mehr als doppelt so häufig vertreten sind wie die Birnen. Das war nicht immer so: Laut der Thurgauer Obstbaustatistik von 1861 gab es früher im Thurgau doppelt so viele Birnbäume wie Apfelbäume. Es scheint, dass mit dem Aufkommen des Zuckers und der Veränderung der Ernährungsgewohnheiten die Birne ihre Bedeutung verloren hat. Früher wurde viel Obst gedörrt und diente als zuckerreicher Wintervorrat, in schweren Zeiten auch als Brotersatz. Zeitweise haben die Thurgauer ihr Dörrobst auch exportiert.
Der grösste Teil des Obstes wurde früher gemostet und vergoren, eine einfache Form der Haltbarmachung. Mit einzelnen Sorten stellte man eine Art Champagner oder einen speziellen Birnenwein her.
Lebende Genbank Die breit abgestützte Suche und Dokumentation alter Landsorten ist eine wichtige Grundlage für die zielgerichtete Erhaltung der Sortenvielfalt in der Schweiz. Sie wird finanziert durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) im Rahmen eines nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen. Damit erfüllt die Schweiz internationale Verpflichtungen, welche sie - ausgehend vom UNO- Umweltgipfel in Rio 1992 - mit der Unterzeichnung der Biodiversitäts- Konvention eingegangen ist.
Wer sich an die Rodungsaktionen von Hochstammbäumen Mitte des letzten Jahrhunderts erinnert, welche mit Bundesbeiträgen gefördert wurden, schüttelt vielleicht den Kopf und fragt sich, ob nun das Rad der Zeit zurückgedreht werden soll. Simon Egger winkt ab: «Nur wenn es uns gelingt, eine breite Sortenvielfalt für unsere Kinder zu erhalten, werden auch nachfolgende Generationen ihre Kulturpflanzen durch Züchtung an veränderte Bedingungen anpassen können. Das ist wichtig, weil sich die Anforderungen an unsere Kulturpflanzen immer wieder ändern; sei es wegen neuen Schädlingen und Krankheiten, Klimaveränderungen oder sich ändernden Anforderungen des Marktes und der Konsumentenwünsche. Und da können bestimmte Eigenschaften von alten, in Vergessenheit geratenen Sorten unversehens neue Bedeutung erhalten.»
Damit das Inventar nicht in Aktenschränken liegen bleibt, arbeitet Fructus eng mit dem Verein Obstsortensammlung Roggwil zusammen, welcher im Weiler Hofen seit 1994 einen Hochstammobstgarten mit rund zweihundert Sorten pflegt. In Roggwil werden die von Fructus inventarisierten Sortenschätze der Ostschweiz Aufnahme und Schutz finden als lebende Genbank.
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Weitere Auskünfte Simon Egger Projektleiter Agroscope FAW Wädenswil Eidg. Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau Tel. 01 783 64 29 Natel 079 286 33 19 E-Mail: Simon.Egger@faw.admin.ch
Kathrine Schwab Medienverantwortliche Agroscope FAW Wädenswil Eidg. Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau Tel. 01 783 62 72 Natel 079 593 89 85 E-Mail: Kathrine.Schwab@faw.admin.ch