Eidg. Justiz und Polizei Departement (EJPD)
EJPD: Presserohstoff: Auswirkungen der SVP-Initiative im Falle einer Annahme
Bern (ots)
1. Drittstaatenregelung
Forderung Die Initiative verlangt, dass auf ein Asylgesuch nicht eingetreten wird, wenn der Asylsuchende über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, in dem er ein Asylgesuch gestellt hat oder hätte stellen können.
Das bedeutet: Bevor die Asylbehörde eine Wegweisung verfügt, ist der asylsuchenden Person in jedem Fall das rechtliche Gehör zu gewähren. In diesem Rahmen kann sie Hinweise dafür liefern, dass der Drittstaat die asylsuchende Person beispielsweise ohne Verfahren einem Staat ausliefern würde, in dem ihr ernsthafte Nachteile gegen Leib und Leben drohen (Verletzung des so genannten völkerrechtlichen Non- Refoulement-Verbotes).
Zusammen mit dem Nichteintretensentscheid wird die Wegweisung in den Drittstaat verfügt. Dies setzt voraus, dass wir genügend Anzeichen über die vorangehende Anwesenheit im betreffenden Drittstaat haben. Wissen wir nicht, über welchen Drittstaat der Asylsuchende eingereist ist, können wir demzufolge auch keine Wegweisung in einen Drittstaat verfügen. Stattdessen müssten wir die Wegweisung in den Herkunftsstaat prüfen.
Verweigert ein Drittstaat (trotz Beweis, Indiz oder Vermutung des vorherigen Aufenthaltes in diesem Staat) die Rückübernahme, bleibt die asylsuchende Person in der Schweiz. In diesen Fällen ist deshalb in einem zweiten Verfahren die Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat zu prüfen. Dies hat auch die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Punkt "Zulässigkeit der Wegweisung" zur Folge. Falls die Wegweisung nicht zulässig ist, hat dies die vorläufige Aufnahme als Flüchtling zur Folge.
Konsequenzen 95% aller Asylsuchenden reisen auf dem Landweg in die Schweiz ein. Sie kommen also zwingend aus einem sicheren Drittstaat. Das bedeutet:
- Auf 95% aller Asylgesuche wird nicht mehr eingetreten, d.h. bei Wegweisung in den Drittstaat findet keine Prüfung der Flüchtlingseigenschaft statt. - Die Wegweisung dieser Personen ist nicht sichergestellt. Selbst wenn wir genügend Angaben für eine Wegweisung in einen Drittstaat haben, hängt der Vollzug davon ab, ob der Drittstaat im Einzelfall der Rückübernahme zustimmt und die Einreise gestattet. Auch die bestehenden Rückübernahmeabkommen sind keine Garantie. Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Abkommens erfüllt sind oder nicht, liegt im Ermessen des Vertragspartners. Wie das aktuelle Beispiel mit Frankreich im Falle der rumänischen Roma zeigt, ist die Bereitschaft unserer Nachbarstaaten zur Rückübernahme von grösseren Gruppen nicht sehr gross. Die Rückübernahmeabkommen sind auf Einzelfälle ausgerichtet. Unsere Nachbarstaaten werden nicht bereit sein, zusätzlich zu ihren eigenen Asylgesuchen noch die rund 20'000 Gesuche/Jahr der Schweiz zu übernehmen. Es ist somit davon auszugehen, dass nur bei einem Bruchteil all dieser Nichteintretensentscheide der Vollzug der Wegweisungen in den jeweiligen Drittstaat auch tatsächlich durchgeführt werden kann. - Diese weggewiesenen Personen würden demnach in der Schweiz bleiben mit dem Status "hängiger Vollzug". Die Anordnung von Ausschaffungshaft wäre ausgeschlossen, da der Vollzug im Rahmen der maximal zulässigen Haftdauer (9 Monate) nicht absehbar ist. Sie würden - ebenfalls gemäss der SVP-Initiative - nur die existenzsichernden Sozialhilfeleistungen erhalten. Sofern diese Personen nicht freiwillig, bzw. unkontrolliert, ausreisen, bleiben sie mit einer unbefriedigenden Rechtsstellung in der Schweiz, was weder im Interesse der Öffentlichkeit noch in jenem der Behörde liegen kann.
Auswirkungen - Verweigert ein Drittstaat die Rückübernahme einer asylsuchenden Person, ist die Prüfung einer Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat im Rahmen eines zweiten Verfahrens notwendig. Dies bedeutet zweimal ein erstinstanzliches und evtl. zwei Beschwerdeverfahren, was finanzielle Auswirkungen haben könnte, da sich dadurch die Aufenthaltsdauer in der Schweiz verlängern dürfte. Konkrete Aussagen dazu sind nicht möglich. Aber Einsparungen sind - entgegen der Behauptung der Initiative - unwahrscheinlich. - Noch mehr Asylsuchende als heute werden den Reiseweg verschleiern und keine Identitätspapiere abgeben, um den Aufenthalt in der Schweiz zu verlängern.
2. Carrier sanctions
Forderung Die Initiative verlangt, dass gegen Fluggesellschaften des konzessionierten Linienverkehrs, die die geltenden Vorschriften der Mitwirkung bei der Kontrolle der Einreisevorschriften nicht einhalten, Sanktionen ergriffen werden.
Das bedeutet: Die Forderung der Initiative bezieht sich nur auf den Linienverkehr. Im Entwurf des neuen Ausländergesetzes ist aber eine weitergehende Regelung enthalten, die auch Chartergesellschaften einschliesst. Der Initiativtext deckt dies jedoch nicht ab.
Auswirkungen Die Strafdrohung gilt nur für Fluggesellschaften des konzessionierten Linienverkehrs. Charterflüge oder andere Transportmittel wären - im Gegensatz zum Entwurf AuG - nicht erfasst. Dies ist einerseits problematisch im Hinblick auf die Rechtsgleichheit. Zudem könnten die Asylsuchenden die aufgrund der Strafdrohung wohl verstärkten Ausweiskontrollen bei den Fluggesellschaften des konzessionierten Linienverkehrs durch die Benutzung von Charterflügen umgehen.
3. Einheitliche Sozialhilfeleistungen
Forderung Die Initiative verlangt, dass die Sozialhilfeleistungen an Asylsuchende (ohne Ausnahmen) einheitlich für die ganze Schweiz und abweichend von den allgemeinen Normen angesetzt und in der Regel durch Sachleistungen erbracht werden.
Das bedeutet:
Die Forderung hätte einen Zuständigkeitswechsel zur Folge. Das heisst, an Stelle der Kantone, wäre der Bund für die Ausrichtung der Sozialhilfe an Asylsuchende zuständig.
Konsequenzen
Ein Wechsel zur Bundeszuständigkeit hätte enorme organisatorische und strukturelle Änderungen in den Kantonen und im Bund zur Folge, da ein Systemwechsel von einer dezentralen zu einer zentralen Lösung stattfinden würde. Betroffen wären nämlich nicht nur die Kantone, sondern Tausende von Gemeinden und zahlreiche Dritte (Hilfswerke, Organisationen), welche heute für die Sozialhilfe zuständig sind. Bei einem Zuständigkeitswechsel kann auf die 26 kantonalen Strukturen (insb. die bestehenden Unterkünfte) und das kantonale Know-how kaum mehr Rücksicht genommen werden. Durch die Zentralisierung werden mehrere grössere Bundeszentren gebaut werden müssen. Da kaum ein Kanton bereit sein wird freiwillig Bauland zur Verfügung zu stellen, sind die Konflikte bereits vorprogrammiert.
Auswirkungen - Bei einer Bundeszuständigkeit würden für den Bund Mehrkosten im Rahmen von schätzungsweise 80 -100 Mio. Franken/Jahr entstehen. Diese Mehrkosten setzten sich wie folgt zusammen: 1. Der Bund würde Leistungsverträge mit Dritten abschliessen, die die Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden übernehmen. Diese Leistung müsste voll abgegolten werden. Im Gegensatz zu den Kantonen würden diese Leistungserbringer kein Kostenrisiko tragen z.B. bei schwankenden Gesuchszahlen. Die Leistungserbringer könnten nicht auf bestehende Strukturen greifen oder Synergien nutzen. Zudem würden sie auch etwas verdienen wollen. Die Abgeltung an die oben erwähnten Dritten müsste mindestens die tatsächlich entstandenen Kosten decken oder mit höheren Pauschalen als heute erfolgen, um die Kosten zu decken, was geschätzte Mehrkosten von 6-12 Millionen Franken zur Folge hätte. 2. Die Sozialhilfe in Form von Sachleistungen bedeutet vor allem Unterbringung. Dafür müssten die entsprechenden Bauten erstellt oder gemietet werden. Die Mehrkosten in diesem Bereich werden auf rund 25 Mio. Franken/Jahr geschätzt. 3. Die Betreuungskosten müssten zu 100% übernommen werden. Bisher wird den Kantonen nur ein pauschaler Beitrag an die Betreuungskosten abgegolten. Hier würden die meisten Mehrkosten von rund 50 Millionen Franken/Jahr anfallen. 4. Der Wechsel von einem dezentralen zu einem zentralen System würde eine personelle Aufstockung beim Bund nach sich ziehen, was Mehrkosten von rund 3 Millionen Franken/Jahr verursachen würde. 5. Asylsuchenden, welche nicht in einen sicheren Drittstaat zurückgeführt werden konnten, welche aber die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, könnte bei Annahme der Initiative nicht mehr Asyl, sondern nur noch die vorläufige Aufnahme gewährt werden. Heute wechselt bei anerkannten Flüchtlingen die Sozialhilfezuständigkeit nach 5 Jahren vom Bund zum Kanton. Dies würde wegfallen, d.h. der Bund bliebe auf unbestimmte Zeit zuständig. Dadurch würden für den Bund Mehrkosten anfallen. Zudem dürften auch höhere Sozialhilfekosten entstehen, da die vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge wegen ihres schlechteren ausländerrechtlichen Status weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten und sich langsamer integrieren würden. Die Mehrkosten werden hier auf 12 Millionen Franken/Jahr geschätzt. - Bisheriges System wird massiv geändert. Die Änderung muss in kurzer Zeit erfolgen (Verfassungsbestimmung tritt am 24.2.03 in Kraft). Die praktische Umsetzung ist unmöglich. - Die Umsetzung der Initiative bedarf neuer Informatiksysteme. Solche Projekte brauchen bis zur Realisierung erfahrungsgemäss einige Zeit. Zudem müsste zuerst genau geklärt werden, was die neuen Bedürfnisse sind. Mit der Unterstützung (z.B. Statistiken) durch EDV- Systeme könnte daher erst mit erheblicher Verspätung gerechnet werden.
4. Bestimmung der Leistungserbringer für Gesundheitskosten
Forderung Die Initiative sieht vor, dass die Kantone die Leistungserbringer für ärztliche und zahnärztliche Betreuung für alle Asylsuchenden bestimmen. Heute gilt dies nur für die sozialhilfeabhängigen Asylsuchenden, während die sozialhilfeunabhängigen Personen sich selber versichern können.
Konsequenzen Die Kantone müssen künftig alle Asylsuchenden versichern.
Auswirkungen Die Versicherung aller Asylsuchenden hätte einen erheblichen Mehraufwand für die Kantone zur Folge. Der Kanton Bern beschäftigt bspw. 5 Personen, welche sich ausschliesslich mit der Krankenversicherung und deren Administration für die sozialhilfeabhängigen Personen befassen.
5. Minimale Sozialhilfeleistungen und Arbeitsverbot für weggewiesene Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene, die ihre Mitwirkungspflicht verletzt haben
Forderung Weggewiesene Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene, die ihre Mitwirkungspflicht verletzt haben, erhalten bis zur Ausreise Sozialhilfeleistungen nur in Form von einfacher Unterkunft, Verpflegung und medizinischer und zahnmedizinischer Notfallversorgung. Erwerbstätigkeit ist nicht erlaubt. Das bedeutet: Minimierung der Sozialhilfeleistungen: Wie oben ausgeführt, kann die Umsetzung durch den Wechsel der Sozialhilfezuständigkeit auf den Bund erfolgen.
Arbeitsverbot: Regelung im Asylgesetz
Konsequenzen Minimierung der Sozialhilfeleistungen: vgl. oben bei einheitlichen Sozialhilfeleistungen. Die eingeschränkte Betreuung hat negative Folgen (mehr Raum für Kleinkriminalität, Drogenhandel und -konsum, Herumlungern etc.), welchen mit mehr Kontrollen begegnet werden muss, was wiederum den vermehrten Einsatz von Polizei- und Sicherheitskräften nötig macht.
Arbeitsverbot: Von den heute 2700 vorläufig Aufgenommen Personen, deren Vollzug der Wegweisung unmöglich ist, sind 1000 Personen erwerbstätig. Ob die Unmöglichkeit auf grobe Mitwirkungspflichtverletzung zurückzuführen ist, kann statistisch nicht erhoben werden. Bei nachfolgender Berechnung gehen wir jedoch davon aus. Pro erwerbstätige Person werden durchschnittlich zwei Personen sozialhilfeunabhängig. Bei jährlichen Kosten von 12'500-15'000 Franken, würde dies zu Mehrausgaben von 25-30 Mio. Franken führen. Asylsuchende, welche im Zeitpunkt der Wegweisungsverfügung arbeiten, dürfen dies heute bis zum Ablauf der Ausreisefrist weiterhin tun. Sie erhalten jedoch keine neuen Arbeitsbewilligungen. Das in der Initiative vorgesehene Arbeitsverbot würde aber bereits auf den Zeitpunkt der Verfügung der Wegweisung in Kraft treten und hätte zur Folge, dass zahlreiche Personen ihre Erwerbstätigkeit früher aufgeben müssten als heute, was wiederum Mehrkosten von ca. 8.6 Mio. Franken zur Folge hat. Hinzu kämen noch die Kosten für zusätzliche Beschäftigungsprogramme, welche pro Person zwischen 10 und 20 Franken pro Stunde kosten. Kosten von 10 Franken fallen erfahrungsgemäss auch in "billigen" Projekten wie bspw. den gemeinnützigen Projekten (Waldarbeiten, Wege reparieren etc.) an.
Auswirkungen
Minimierung der Sozialhilfeleistungen: - Keine Kosteneinsparung gegenüber den heute ausgerichteten Sozialhilfeleistungen, weil allfällige Einsparungen bei der Unterstützung und Betreuung durch einen höheren Kontrollaufwand für Polizei- oder Sicherheitsorgane aufgehoben würden. - Anreiz, die Schweiz zu verlassen ist gering, weil die Minimalleistungen keine Strafe darstellen und sich mit Kleinkriminalität Geld verdienen lässt. - Möglichkeit, dass die betroffenen Personen kriminell werden oder Schwarzarbeit leisten
Arbeitsverbot: - Mehrkosten im Umfang von 33-38 Mio. Franken - Möglichkeit, dass die betroffenen Personen kriminell werden oder Schwarzarbeit leisten - Betreuung wird schwieriger